An einem kleinen runden Tisch sitzen zwei Frauen, von denen die Hände und ein Teil der Beine zu sehen sind.

Zeugenbetreuung am Landgericht Frankfurt am Main

Vorbemerkung: Um die Lesbarkeit dieses Berichtes zu vereinfachen, wird auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Wir möchten deshalb darauf hinweisen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form explizit als geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

In Anlehnung an das 1987 ins Leben gerufene Zeugenbetreuungsprojekt in Limburg wurde auf Initiative des Hessischen Justizministeriums im August 1993 die Zeugenbetreuung bei den Frankfurter Justizbehörden eingerichtet.

Die damalige Justizministerin Dr. Christine Hohmann-Dennhardt eröffnete im Rahmen einer Feierstunde die Zeugenbetreuungsstelle. Somit war das Bundesland Hessen Vorreiter bei der Einrichtung von Zeugenbetreuungsstellen in der Justiz.

Die erste Opferhilfe Deutschlands wurde im Jahr 1984 in Hanau gegründet. Damit wurde erstmals von staatlicher Seite anerkannt, dass Kriminalitätsopfer einen direkten Anspruch auf professionelle Hilfe bei der Bewältigung ihrer Situation haben.

Als Ziel der täglichen Arbeit gilt, die Situation von Zeugen, insbesondere von Betroffenen einer Straftat, in Strafverfahren zu verbessern.

Im Gerichtsgebäude E wurde eine Anlaufstelle in Nähe der Sitzungssäle eingerichtet. Hier erhalten Zeugen schnell und unbürokratisch Information und Unterstützung.

Außerdem bietet ein Zeugenzimmer die Möglichkeit, Beratungsgespräche und Betreuungen während Wartezeiten in ungestörtem Raum stattfinden zu lassen.

In den Justizgebäuden E, B und D wurden speziell für Kinder Spielzimmer eingerichtet. Hier werden Kinder betreut, die eine Zeugenaussage machen sollen, aber auch Kinder die in Familiensachen (z.B. Sorgerechts-/Umgangsverfahren) angehört werden. Das Betreuungsangebot erstreckt sich auch auf Kinder, deren Eltern eine Zeugenaussage machen.

Zwei Sozialarbeiterinnen und ein Sozialpädagoge informieren, unterstützen und beraten Zeugen (kostenlos), wenn diese vor das Amts-, Land- und Oberlandesgericht Frankfurt geladen werden.

Für viele Zeugen, die vor Gericht aussagen sollen, bedeutet bereits die Zustellung der Ladung Aufregung und Beunruhigung. Sie fühlen sich unsicher, weil sie nicht genau wissen, was auf sie zukommt, kennen sehr häufig die Institution Gericht und die damit verbundenen Abläufe nicht. Viele Betroffene einer Straftat, die körperlich oder seelisch verletzt wurden, verkraften den zum Tatzeitpunkt erlittenen Kontrollverlust und die damit verbundenen Gefühle von Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit nur sehr schwer. Mit dem Näherrücken des Gerichtstermins nehmen die Tat und deren Folgen noch einmal einen großen Raum im Leben der Betroffenen ein.

In nicht unerheblichem Maß darin enthalten sind Ängste, die unbekannte Situation der Gerichtsverhandlung nicht vorhersehen und kontrollieren zu können und somit erneut einem Geschehen ausgeliefert zu sein.

Außerdem fühlen sich einige Zeugen der erneuten Begegnung mit dem Täter nicht gewachsen, und alte Wunden können wieder aufbrechen.

Belastungsfaktoren:
Insgesamt gibt es eine Reihe von potentiellen Belastungsfaktoren, welche Zeugen vor, während oder nach der Gerichtsverhandlung beunruhigen:

  • Wartezeiten auf dem Gerichtsflur
  • Begegnung mit dem Angeklagten bzw. dessen Angehörigen, und/ oder Familie
  • Bedrohung/ Beschimpfung durch den Angeklagten oder deren Angehörige und/ oder Familie
  • Vor vielen fremden Menschen aussagen müssen
  • Manchmal unangenehme Befragungen
  • Ängste durch fehlendes rechtliches Wissen
  • Verständnis- und Formulierungsschwierigkeiten
  • Angst, etwas falsch zu machen
  • Allein auf sich gestellt zu sein

Fragen:
Im Folgenden haben wir Fragen aufgelistet, die uns von Zeugen häufig gestellt werden:

  • Gibt es Möglichkeiten, nicht aussagen zu müssen?
  • Ist der Angeklagte während meiner Aussage anwesend?
  • Darf ich in seiner Abwesenheit aussagen?
  • Was passiert nach meiner Aussage? Kann mich die Justiz/Polizei vor evtl. Racheakten oder Wiederholungstaten schützen?
  • Kann ich meine Anzeige/ Aussage zurückziehen?
  • Ich kenne das Gericht nur aus dem Fernsehen, ist der Verhandlungsablauf so, wie in den Medien dargestellt?
  • Ich habe Angst, die Verhandlung nicht durchzustehen!?
  • Brauche ich einen Anwalt? Darf ich mir einen Anwalt nehmen?
  • Warum bin ich denn als Zeuge geladen, ich bin doch Opfer?!
  • Was sind meine Rechte?
  • Muss ich überhaupt aussagen? Kann denn nicht das Protokoll vorgelesen werden?
  • Ich kann mich nicht mehr genau an alles erinnern. Ist das schlimm?
  • Wer stellt mir während der Verhandlung Fragen?
  • Muss ich meine Anschrift mitteilen?
  • Darf ich auch Fragen stellen?
  • Bekomme ich die Kosten ersetzt, die mir entstanden sind, um hierher zu kommen?
  • Warum muss ich nun schon zum dritten Mal aussagen, nach Polizei und in erster Verhandlung?
  • Wann kann ich denn endlich damit abschließen?
  • Gibt es eine Kleiderordnung bei Gericht, was soll ich tragen?

Neben Sachfragen bezüglich des Verhandlungsablaufs werden auch organisatorische Fragen (Anreise, finanzielle Entschädigung, Kinderbetreuung, Verlegung von Terminen etc.) von uns beantwortet.

Zeugen sind sehr erleichtert, dass es innerhalb des Justizapparates Mitarbeiter gibt, die speziell für ihre Belange da sind. Die Angebote der Zeugenbetreuung, sei es die Tatsache, dass ein geschützter Raum für sie zu Verfügung steht oder die Möglichkeit besteht, in den Gerichtssaal begleitet zu werden, werden gerne wahrgenommen. Sie finden in uns Ansprechpartner, die ihre Situation und emotionale Befindlichkeit kennen, annehmen und die ihnen in allen Fragen vor, während und nach der Gerichtsverhandlung zur Seite stehen. Für Zeugen sind dies wesentliche und beruhigende Faktoren, die die akute Belastung reduzieren.

Die Ziele der Zeugenbetreuung, welche durch Beratung, Betreuung und Begleitung umgesetzt werden, lassen sich wie folgt in Stichworten zusammenfassen.

  • Abbau von Ängsten
  • Beruhigung
  • Ermutigung
  • Umfassende Aufklärung/Information
  • Emotionale Stabilisierung
  • Zur Seite stehen, um das Gefühl des Alleingelassen-Werdens zu vermeiden
  • Mitwirkung an einem reibungsloseren und zügigeren Prozessablauf
  • Vermeidung einer sekundären Viktimisierung

Zeugen, die Betroffene einer Straftat wurden, versuchen oft, das ganze Geschehen zu verdrängen und zu vergessen - ein durchaus gesunder menschlicher Schutzmechanismus. Zum Zeitpunkt der Ladung werden plötzlich alle Gefühle, die mit der Straftat einhergehen, wieder wachgerufen. Viele Zeugen fühlen sich in dem Moment überfordert, haben große Angst, dem Täter im Gerichtssaal wieder zu begegnen und die Erinnerung wieder aufleben zu lassen. Hier brauchen sie Unterstützung, Ermutigung und das Gefühl, nicht allein gelassen zu werden.

 

Für die Betroffenen kann die Durchführung eines Strafverfahrens eine große Belastung sein. Aufgabe eines sozialen Rechtsstaates ist es nicht nur, darauf zu achten, dass die Straftat aufgeklärt und Schuld oder Unschuld des Beschuldigten in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt werden, sondern auch, dass die Belange des Opfers gewahrt bleiben.

Die Opferrechtsreform verfolgt das Ziel, die Interessen eines Opfers im Strafverfahren stärker zu berücksichtigen. Mit dem 3. Opferrechtsreformgesetz vom 21. Dezember 2015 wurden weitere wichtige Schritte unternommen, um den Schutzstandard für die Opfer zu erhöhen.

Folgende Paragraphen der Strafprozessordnung (StPO) sind wichtig für die Arbeit in der Zeugenbetreuung:

  • § 48 Abs. 2 StPO wurde im Jahr 2004 eingeführt. Er beinhaltet unter anderem die Vorschrift, dass „die Ladung der Zeugen unter Hinweis auf vorhandene Möglichkeiten der Zeugenbetreuung geschieht“.
  • § 406f Absatz 2 StPO wurde ebenfalls im Jahr 2004 eingeführt und regelt den Verletztenbeistand: „Bei einer Vernehmung von Verletzten ist auf deren Antrag einer zur Vernehmung erschienenen Person ihres Vertrauens die Anwesenheit zu gestatten (…)“.
  • § 406h StPO wurde im Jahr 2009 eingeführt und verweist ebenfalls auf die Rechte des Verletzten: „Verletzte sind möglichst frühzeitig, regelmäßig schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache (…) insbesondere auch darauf hinzuweisen, dass sie Unterstützung und Hilfe durch Opferhilfeeinrichtungen erhalten können, etwa in Form einer Beratung oder einer psychosozialen Prozessbegleitung.“

Im Jahre 2017 wurde die Psychosoziale Prozessbegleitung eingeführt. § 406g StPO legt fest:

„Verletzte können sich des Beistands eines psychosozialen Prozessbegleiters bedienen. Dem psychosozialen Prozessbegleiter ist es gestattet, bei Vernehmungen des Verletzten und während der Hauptverhandlung gemeinsam mit dem Verletzten anwesend zu sein.“

Während § 406g Absatz 1 StPO sich zunächst mit dem Recht der Verletzten auf psychosoziale Prozessbegleitung befasst, normiert Absatz 2, dass das PsychPbG die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung sowie die Anforderung an die Qualifikation und die Vergütung des psychosozialen Prozessbegleiters zu regeln hat. § 406g Absatz 3 StPO bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine kostenlose Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters möglich ist. Sofern keine Beiordnung erfolgt, ein Verletzter sich aber dennoch auf eigene Kosten eines psychosozialen Prozessbegleiters bedient, bestimmt § 406g Absatz 4 StPO die Grenzen dessen Anwesenheitsrechts an Vernehmungen.

Eine psychosoziale Prozessbegleitung hat das Ziel, individuelle Belastungen zu reduzieren, eine Sekundärviktimisierung weitestgehend zu vermeiden und die Aussagetüchtigkeit der Zeugen zu fördern.

Grundsätzlich kann jeder verletzte Zeuge sich der psychosozialen Prozessbegleitung bedienen, jedoch erfolgt eine Beiordnung auf Staatskosten nur in bestimmten Fällen.

 

  • Ladung:
    Zeugen erfahren von unserer Einrichtung durch das Merkblatt, das jeder Ladungsnachricht beigefügt ist.
  • Terminnachricht:
    Wenn die Gerichtsabteilung/Strafkammer eine Terminnachricht mit Adressen der geladenen Zeugen übermittelt, schicken wir postalisch ein schriftliches Beratungsangebot heraus oder nehmen telefonisch Kontakt auf. Handelt es sich um Kinder, geht unser Beratungsangebot auch an die sorgeberechtigten Erwachsenen.
  • Sitzungsliste:
    Die Sitzungslisten der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts geben uns darüber hinaus Hinweise auf die täglichen Verhandlungen und die darin angeklagten Delikte, sowie die Anzahl der in diesen Verhandlungen geladenen Zeugen.
  • Vor Ort:
    Das aktive Zugehen auf Zeugen (insbesondere von Betroffenen einer Straftat) ist ein Arbeitsansatz, der sich aus den gewonnenen Erfahrungen in unserer Arbeit entwickelt hat, denn ein mögliches Symptom von Betroffenen einer Straftat ist es, sich zu isolieren. Vielen ist es aus eigener Kraft nicht möglich, Kontakt zu einer sozialen Einrichtung aufzunehmen. Richter informieren uns in akuten Situationen durch direkte Ansprache. Die „Anlaufstelle der Zeugenbetreuung“, welche mit Bedacht dicht bei den Sitzungssälen verortet wurde, tut ihr Übriges, um Zeugen die Kontaktaufnahme im Gericht zu erleichtern. Sie sieht aus wie ein „Informationsschalter“ mit einem Glasfenster, durch das ein Mitarbeiter gesehen werden und vorab Blickkontakt aufgenommen werden kann. Dies reduziert die Hemmschwelle der vor Ort hilfesuchenden Zeugen. Ungefähr ein Viertel aller Betreuungskontakte kommt so zustande.
  • Polizeidienststellen, Beratungsstellen:
    Polizeireviere und Beratungsstellen haben Flyer der Zeugenbetreuung vor Ort und händigen diese im Bedarf an Betroffene aus.
  • Empfehlungen:
    Zeugen kommen zu uns auf Hinweis ihrer Rechtsanwälte, oder weil Bekannte oder Verwandte eventuell schon einmal Erfahrungen mit uns gesammelt haben.

Wir betreuen Kinder am Familiengericht und für die Familiensenate, deren Eltern gerichtliche Auseinandersetzungen um z.B. Sorgerecht, Besuchs.- und Umgangsrecht führen. Die Kinder stehen in der Regel unter einem hohen psychischen Druck, einerseits durch die Vorgeschichte, aber auch wegen der anstehenden gerichtlichen Entscheidung. Sie brauchen professionelle Unterstützung in der Zeit vor, während und nach ihrer eigenen Anhörung.

Kinder haben in einem kindgerecht eingerichteten Spielzimmer die Möglichkeit, betreut zu werden oder sich zu beschäftigen.

Auch Kinder von Zeugen können während der Zeugenaussage ihrer Eltern betreut werden.

Doch es sind auch Kinder selbst Zeugen bzw. Betroffene von Straftaten. Eine kindgerechte, altersbedingte Beratung und Begleitung im Strafverfahren ermöglicht für sie die Reduzierung der verfahrensspezifischen Belastungen.

Über das Hessische Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat angeregt, wurde am 20.09.2001 das Trauma- und Opferzentrum Frankfurt e. V. ins Leben gerufen. Den Vorsitz im Vorstand des eingetragenen Vereins hat Herr Klaus Schlitz, Vizepräsident des Landgerichts Frankfurt am Main a. D., übernommen.

Zwischen den Kooperationspartnern, dem Trauma- und Opferzentrum und dem Landgericht Frankfurt am Main wurde ein Kooperationsvertrag geschlossen, der die Zusammenarbeit mit der Zeugenbetreuung regelt. Beide Kooperationspartner erarbeiteten die Konzeption und die Außendarstellung für die Öffentlichkeitsarbeit.

Das Zentrum bietet sowohl den Betroffenen einer Straftat als auch den Zeugen die Möglichkeit zur weiteren Hilfe über den Prozess hinaus. Wir können dort gezielte, weiterführende und unterstützende Beratungsgespräche anbieten.

Bei Bedarf kann auch eine diagnostische Abklärung erfolgen, ob zum Beispiel eine Traumafolgestörung vorliegt, für deren Bewältigung gegebenenfalls eine spezielle therapeutische Behandlung notwendig ist.

Außerdem gehören zum Klientel des Zentrums Menschen, die Betroffene einer Straftat oder andere belastender Erfahrungen wurden, z.B. Unfallopfer oder Menschen, die auf tragische Weise Angehörige verloren haben. Die fachliche Arbeit und Weiterentwicklung wird unterstützt durch eine gemeinsame supervisorische Begleitung.