Aufgeschlagenes Buch von unten fotografiert.

Buchprojekt “lesen anstatt“

Als verkündet wurde, die Bibliothek umfasse alle Bücher, war der erste Eindruck ein überwältigendes Glücksgefühl. Alle Menschen fühlten sich als Herren über einen unversehrten und geheimen Schatz. Es gab kein persönliches, kein Weltproblem, dessen beredte Lösung nicht existierte.

Jorge Luis Borges
Die Bibliothek von Babel

Das Jugendgericht Fulda stellt ein neues Projekt vor, welches über das reine Wiedergutmachen durch Arbeitsleistungen hinausgehen und Chancen für die jugendlichen Straftäter schaffen soll. Initiiert wurde dieses Projekt in Zusammenarbeit zwischen Jugendrichter und der gemeinsamen Fachstelle der Jugendhilfe im Strafverfahren von Stadt und Landkreis Fulda. Es soll durch Lesen das Verständnis von Sprache und das Erlernen von kommunikativen Kompetenzen schulen und darüber hinaus Problemlösungen aufzeigen.

Das Buchprojekt richtet sich an straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende, in erster Linie an Ersttäter oder auch an diejenigen, welche aufgrund von gesundheitlichen Gründen (anstehende Operation, Schwangerschaft) nicht in der Lage sind, Arbeitsstunden zu leisten. Das zu lesende Buch soll einen engen Bezug zur jeweiligen Straftat oder den besonderen persönlichen Umständen des Jugendlichen haben.

Die Jugendlichen sollen sich mit altersgerechter Literatur auseinandersetzen, die sich mit ihren Sorgen, Problemen, Lebensverhältnissen, aber auch mit ihren Straftaten aus einem anderen Blickwinkel beschäftigt. Durch das Lesen und Bearbeiten von begleitenden Aufgaben werden Anreize geboten, sich mit der eigenen Tat, den eigenen Problemen und Lebensweisen sowie den eigenen Erfahrungen und Einstellungen intensiver auseinanderzusetzen. Gleichzeitig soll das Projekt die Fantasie anregen, neugierig auf weitere Bücher machen und damit die Leselust anregen.

Es wurde eine Liste von derzeit 14 Büchern erstellt, die einzelnen Problemfeldern zugeordnet werden können wie Alkohol, Schulprobleme, Beziehungsprobleme, Drogenprobleme, Gewalt, Mobbing, Ausgrenzung, Integration, Familienstruktur.

Die Umsetzung erfordert eine bereits vor der Verhandlung bestehende Bereitschaft des Jugendlichen, ein vollständiges Buch zu lesen. Dies stellt für viele Jugendliche leider schon eine kaum zu bewältigende Hürde dar. Anhand der von der Jugendhilfe im Strafverfahren ermittelten Lebenssituation, der Straftat und den Interessen des Jugendlichen wählt das Jugendgericht ein Buch aus, welches innerhalb einer bestimmten Frist zu lesen ist. Um die Auseinandersetzung mit dem Buch und der Thematik zu fördern, bekommt der Jugendliche eine Aufgabenstellung, die er bearbeiten soll. Im Rahmen einer Buchbesprechung zwischen dem Jugendlichen und der Jugendhilfe im Strafverfahren findet dann ein Austausch darüber statt, welchen Bezug das Buch zur persönlichen Situation oder der Straftat bietet und welche Lernerfahrungen das Lesen gebracht hat. Die Jugendhilfe im Strafverfahren klärt hierbei ebenfalls ab, ob die Maßnahme des Buchprojektes in der Situation ausreichend war oder aus erzieherischer Sicht eine weitere Einflussnahme durch den Jugendrichter notwendig ist.

Zu diesem Zweck ist ein fester Buchbestand angeschafft worden, in Einzelfällen kann dem Jugendlichen aufgegeben werden, das Buch auf eigene Kosten anzuschaffen.

Die Liste der empfohlenen Bücher steht für den Schulunterricht, Schulbibliotheken, öffentliche Bibliotheken oder die freie private Nutzung als Download bereit.