- Geschichte der Justiz seit 1800
- Vom Obergericht zum Amts- und Landgericht in Fulda
- Das Amtsgericht in der Königstraße 38
Geschichte der Justiz seit 1800
Viele Jahrhunderte lang, vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein, galt das Recht des Landesherrn. Dieser verfügte nicht nur über die Regierungsgewalt, er bestimmte auch über die Rechtsprechung. Der Landesherr richtete so genannte Justizämter ein, bestellte Richter, Beamte und Schöffen, erließ Gesetze und Verordnungen und wachte darüber, dass alles in seinem Sinne geschah. Jedes Urteil musste von ihm bestätigt werden. Er konnte Urteile aufheben, eine Neufassung verlangen und hatte die Möglichkeit, Entscheidungen unter Missachtung der anzuwendenden Gesetze zu treffen. Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Regierung lagen damit - im Gegensatz zu heute - praktisch in einer Hand.
In Fulda übten die (Fürst-) Äbte bzw. (Fürst-) Bischöfe die Landesherrschaft aus. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803, dem letzten wichtigen Gesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, und der damit einhergehenden Säkularisation, wurden Bistümer, Klöster und Stifte im Gebiet des damaligen Reiches weitestgehend aufgehoben. Die Besitzungen und Ländereien übernahmen weltliche Landesfürsten. Auch die landesherrschaftliche Gewalt des Fürstbischofs hatte damit in Fulda ein Ende.
Zwischen 1803 und 1815 wechselten die jetzt weltlichen Landesherrschaften in Fulda mehrfach. Das Fuldaer Territorium ging zunächst in den Besitz des holländischen Erbprinzen Wilhelm Friedrich von Nassau-Oranien über und wurde danach infolge der Kriege gegen Napoléon Bonaparte jeweils für relativ kurze Zeit von Frankreich, Österreich und Preußen verwaltet. Der Wiener Kongress (September 1814 bis Juli 1815) bedeutete schließlich eine Restauration der alten staatlichen Ordnung sowie des Territoriums Europas nach dem Sieg über Napoléon. Das Fuldaer Land wurde geteilt. Der größte Teil des Territoriums einschließlich der Städte Fulda und Hünfeld wurde Kurhessen zugeschlagen, weitere kleinere östliche und südliche Teile gingen an Sachsen-Weimar und Bayern.
Der neue Landesherr über Fulda, Kurfürst Wilhelm I. von Hessen-Kassel sowie sein Sohn und Nachfolger Wilhelm II. richteten nach preußischem Vorbild eine Gerichtsbarkeit ein, die schon sehr viel von unserer heutigen Unabhängigkeit aufzuweisen hatte. Es gab eine Rechtsprechung nach vorgegebenen Gesetzen, die von unabhängigen Richtern und Beamten angewandt wurde. Es wurden für alle möglichen Bereiche des täglichen Lebens Gerichte installiert, wie z. B. Gast-, Kauf-‚ Handels-, Mess-, Markt-, Rüge- und Gutsleutegerichte. Zahlreiche Criminalgerichte waren zuständig für die verschiedenen Bereiche der Strafjustiz. Sie waren nach der Art des Delikts und der Art der Bestrafung geordnet.
Nach den Revolutionstagen von 1830 wurde eine neue, für damalige Verhältnisse außerordentlich fortschrittliche Verfassung beschlossen, eine der demokratischsten Europas. Diese Verfassung von 1831 fixierte gesetzlich die bisher schon praktizierte Unabhängigkeit der Gerichte von Regierung und Verwaltung. Die Möglichkeit der willkürlichen Manipulation bei der Auswahl eines Richters wurde durch entsprechende Vorschriften ausgeschaltet. Die Gerichte wurden seitdem mit Richtern besetzt, die von Universitäten kamen. Auf die Person des einzelnen Richters hatte der Kurfürst keinen Einfluss‚ er gab lediglich an, für welchen Bereich die Stelle eines Richters zu besetzen war. Die kurhessische Zeit zwischen 1816 und 1866 wird allgemein als Zeit der Luxusjurisprudenz (Luxusrechtswissenschaft) angesehen. Die Ausbildung der jungen Juristen war nämlich überaus gründlich und sorgfältig‚ die Anforderungen für das Richteramt waren streng. Hier ist die im ganzen Reich sehr angesehene Marburger Schule und an deren Spitze Friedrich Carl von Savigny zu nennen. Nur wenige der Besten hatten die Aussicht, Richter zu werden.
Im preußisch-österreichischen Krieg von 1866 stand Kurhessen auf österreichischer Seite und gehörte somit zu den Verlierern. Das Land wurde von Preußen besetzt und vereinnahmt, es entstand die preußische Provinz Hessen-Nassau. Mit dieser Annexion endet 1866 die Geschichte einer selbständigen hessischen Justiz. Die Gerichte wurden teilweise aufgelöst, die Richter entlassen. Das oberste Gericht, das Oberappellationsgericht in Kassel, wurde dem Berliner Obertribunal einverleibt. Vieles organisatorisch Gewachsene‚ dessen Erhaltung möglich gewesen wäre‚ wurde zerstört, um es an fragwürdige preußische Verhältnisse anzugleichen. Für Hessen war das umso schmerzlicher, als die preußischen Justizverhältnisse jener Zeit verglichen mit den hessischen in vieler Hinsicht rückständig waren. Das hessische Prozessverfahren war auf Grund einer mehrfach verbesserten Prozessordnung schnell und vor allem billig. Der Staat hielt es für eine vorrangige Pflicht, dem Bürger schnell und ohne große Unkosten zu seinem Recht zu verhelfen. Zum Beispiel gab es in Hessen eine Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Bürger hatte also Rechtschutz gegenüber Maßnahmen der Verwaltung. Ähnliches war in Preußen nicht bekannt‚ hier entschied der Leiter der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hatte.
Erst nach 13 Jahren, nämlich im Jahre 1879 erhielt das alte Hessen wieder Zustände, die an die Zeit vor 1866 anknüpften. Am 01.10.1879 traten Reichsjustizgesetze in Kraft, die grundlegend die Gerichtsverfassung und Rechtsprechung regelten. Sie umfassten
- das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)Öffnet sich in einem neuen Fenster
- die Zivilprozessordnung (ZPO)Öffnet sich in einem neuen Fenster
- die Strafprozessordnung (StPO)Öffnet sich in einem neuen Fenster
- die Konkursordnung (KO) und
- andere Nebengesetze wie z. B. das Gerichtskostengesetz (GKG)Öffnet sich in einem neuen Fenster.
Bis auf die Konkursordnung, die am 1. Januar 1999 durch die Insolvenzordnung (InsO) ersetzt wurde, besitzen die Reichsjustizgesetze, die natürlich im Laufe der Zeit immer wieder geändert und angepasst wurden, bis heute noch Gültigkeit.
Vom Obergericht zum Amts- und Landgericht in Fulda
Im Palais Altenstein - direkt gegenüber dem Stadtschloss - war von 1816 bis 1866 das Fuldaer Obergericht untergebracht. Das Palais, die frühere Wohnung des fuldischen Kanzlers, wurde 1770 erbaut und 1961 aus verkehrstechnischen Gründen um zwei Achsen verkürzt. Bauherr war Hofmarschall Christian Adam Ludwig Freiherr von Stein zu Altenstein. Das Palais hat im 2.Stock einen prachtvollen Rokokosaal, der als einer der schönsten Festsäle der damaligen Zeit galt. Dieser wird heute auch als Hochzeitssaal genutzt, außerdem findet man dort Ämter der Stadtverwaltung; bis zum Jahre 1994 hatte hier die Staatsanwaltschaft FuldaÖffnet sich in einem neuen Fenster ihre Diensträume.
Das Obergericht war das zweite in Hessen überhaupt, es umfasste die Städte Bad Hersfeld, Marburg, Hanau, Schmalkalden. Dem Gericht unterstanden 33 Justizämter und Strafgerichte, drei davon befanden sich im Gerichtsgebäude in der Königstraße.
Abteilung 1 | Grundbuchamt |
---|---|
Abteilung 2 | Polizeisachen, Privatanklagen, Konkurssachen, Vormundschaftssachen und Testamente |
Abteilung 3 | Zivilprozesssachen |
Das Obergericht wurde im Jahre 1866 aufgelöst. Durch Verordnung von 1867 erhielt Fulda ein Kreisgericht, welches die Amtsgerichte Burghaun, Eiterfeld, Fulda, Großenlüder, Hilders, Hünfeld, Neuhof und Weyhers umfasste. Bei der Neuorganisation des Gerichtswesens im Jahre 1879 durch das Reichsjustizgesetz, welches den Aufbau von Amtsgerichten, Landgerichten, Oberlandesgerichten und einem Reichsgericht vorsah, wurde von der Königlichen Regierung Preußens dem Landtag vorgeschlagen, die Zuteilung des an die Stelle des Kreisgerichts tretenden Landgerichts nach Hanau statt nach Fulda zu beschließen. So war Hanau dann ab 1879 mit dem Landgericht sowie Kassel mit dem Oberlandesgericht für unseren Gerichtsbezirk zuständig.
Lesen Sie nun einen Verwaltungsbericht aus dem Jahr 1895, Quelle: Stadtarchiv Fulda
Die Neuregelung stellte sich bis 1945 wie folgt dar:
Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten
- Nr. 12 (Nr. 8554)
Gesetz, betreffend die Errichtung der Oberlandesgerichte und der Landgerichte. Vom 4. März 1978.
- Auszug -
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages der Monarchie, was folgt:
§ 1. Oberlandesgerichte werden errichtet […]
§ 3. Die Bezirke der Oberlandesgerichte und der Landgerichte werden nach Maßgabe des anliegenden Verzeichnisses gebildet.
§ 5. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 in Kraft. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 4. März 1878.
Wilhelm. (L.S.)
Camphausen. Leonhardt. Falk. v. Karneke. Achenbach.
Friedenthal. v. Bülow. Hofmann
Anlage zu § 3 (bearbeitet)
Oberlandesgerichtsbezirk Kassel
Landgerichte | Amtsgerichte |
---|---|
Hanau | Bergen Kreis Hanau, Bieber, Birstein, Burghaun, Eiterfeld, Fulda, Gelnhausen, Großenlüder, Hanau, Hilders, Hünfeld, Langenselbold, Meerholz, Neuhof, Orb, Salmünster, Schlüchtern, Schwarzenfels, Steinau Bez. Kassel, Wächtersbach, Weyhers, Windecken |
Kassel | […] |
Marburg | […] |
Erst 1949 erhielt Fulda dann das heutige Landgericht. Die Amtsgerichte Hilders, Neuhof und Gersfeld (ehemals Weyhers) wurden später zu Zweigstellen des Amtsgerichts Fulda. Mit Wirkung vom 01. Juni 2004 wurden diese Zweigstellen geschlossen und in das Amtsgericht Fulda eingegliedert. Die anderen einstigen Amtsgerichte wurden später teilweise aufgelöst oder befinden sich noch in den heutigen Landgerichtsbezirken Fulda und Hanau. Weitere Informationen zu den Gerichtsbezirken finden Sie beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
Das Amtsgericht in der Königstraße 38
1843 wurde eigens zur „Förderung der hessischen Justiz“ vor der Stadtmauer im damaligen Neubaugebiet in der Königstraße ein dreiflügliger Bau im klassizistischen StilÖffnet sich in einem neuen Fenster errichtet. Kurfürst Wilhelm II. von Hessen-Kassel hatte nach Fertigstellung der Umbauten in Schloss AdolphseckÖffnet sich in einem neuen Fenster den kurhessischen Architekten, seinen Hofbaumeister Johann Konrad Bromeis aus Kassel, mit der Errichtung eines Dienstgebäudes beauftragt. Es wird als Baudenkmal wenig beachtet, in keinem Reiseführer und bei keiner Stadtführung erwähnt, obgleich es das einzige rein klassizistische Gebäude in Fulda ist.
Im Haus waren drei Criminalgerichte untergebracht. Das Gebäude wurde im Jahr 1924 um einen Anbau erweitert, außerdem wurde die Justizvollzugsanstalt gebaut. Zu jedem Strafgericht gehörte damals ein Gefängnis. In Fulda wurden aber keine Fälle von Schwerkriminalität verhandelt.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Amtsgerichtsgebäude nebst JVA durch Bombenangriffe schwer beschädigt. Der Wiederaufbau dauerte von 1949 bis 1953. Bereits Ende der 50er Jahre kam der Wunsch nach einem Gebäude für mehrere Ämter auf. Deshalb kaufte das Land Hessen 1959 vorsorglich den heutigen Standort neben dem Amtsgericht, das Gelände der ehemaligen Wachsfabrik Rübsam. Die Fabrik war bei einem Luftangriff gegen Ende des Zweiten Weltkrieges so schwer beschädigt worden, dass nur noch ein Abriss in Frage kam. Von der historisch wertvollen Villa Rübsam konnte nur die Einrichtung eines Rokokozimmers gerettet werden.
Es vergingen noch viele Jahre, bis schließlich der Bau eines Behördenzentrums realisiert werden konnte. Rund zehn Jahre nach den ersten Entwürfen der Architekten und etwa vier Jahre nach dem ersten Spatenstich wurde es am 12. Mai 1995 eingeweiht. Amtsgericht, Landgericht, Staatsanwaltschaft, Justizvollzugsanstalt und Finanzamt sind seither im größten öffentlichen Gebäude Fuldas untergebracht. Mit ca. 120 Millionen DM war dies bis dahin der teuerste Neubau in Fulda seit 1945.
Der Neubau orientiert sich an barocken Vorbildern: Der Großbau ist, wie beim Stadtschloss oder der alten Universität, als so genannter Hof- und Flügelbau angelegt. Auch die Treppenstraße erinnert an die barocken Terrassenanlagen der Stadt (Schlossgarten, Domplatz). Durch die Treppenstraße, die Königstraße und Fuldaaue miteinander verbindet, wird das Gebäude in zwei deutlich voneinander abgesetzte Baukörper eingeteilt: das FinanzamtÖffnet sich in einem neuen Fenster einerseits und die Justizbehörden inklusive des Altbaus andererseits.
Das klassizistische Gerichtsgebäude ist in den Neubau integriert (siehe Bildergalerie). Es wurde in nur 17 Monaten, von Dezember 1994 bis April 1996 von Grund auf Instand gesetzt, das Äußere in Abstimmung mit der Denkmalpflege nach historischem Vorbild rekonstruiert und zahlreiche Um- und Einbauten vorgenommen, wie z.B. ein barrierefreier Zugang sowie Komplettausstattung mit moderner Elektronik. Das damals aus allen Nähten platzende Amtsgericht ist nach wie vor im historischen Gebäude untergebracht, viele Abteilungen sind nun aber auch im sich daran anschließenden Neubau zu finden.
Eine besondere Überraschung verbirgt sich hinter der Doppeltür zu Sitzungssaal 2.131: Hier wurde das sogenannte Rokokozimmer aus der im Krieg stark beschädigten Rübsam-Direktorenvilla eingebaut und mit stilgerechten Accessoires ergänzt.