Limburger Justiz im Wandel der Zeit

Zur Geschichte der Gerichtsorganisation im Landgerichtsbezirk Limburg Von Georg Schmidt-von Rhein

Lesedauer:35 Minuten
  1. Schöffenrecht und Amtmannsjustiz
  2. Rechtspflege und Gerichtsorganisation in Nassau
  3. Die Annektion Nassaus durch Preußen
  4. Der Kampf ums Landgericht
  5. Die Errichtung des Landgerichts
  6. Das Landgericht und das Dritte Reich
  7. Die Neuorganisation der Justiz

1. Schöffenrecht und Amtmannsjustiz

Die Geschichte der Rechtspflege im Landgerichtsbezirk Limburg ist die Geschichte von Bürgern, die schon immer wachsam auf die Einhaltung ihrer persönlichen Freiheiten geachtet, diese nach besten Kräften verteidigt haben und damit konsequent für eine unabhängige Rechtspflege eingetreten sind. In der über tausendjährigen Geschichte der Stadt spielen Gerichte und Rechtspflege damit seit jeher eine große Rolle. Der Chronist der Limburger Stadtgeschichte Tilemann Elhen von Wolfhagen (Stadtschreiber in Limburg von 1370 bis 1398) berichtet zu Recht stolz davon, wie schon im Jahre 1279 dieser Geist der Limburger Bürger siegreich aus einem harten Kampf hervorgegangen ist, den die Herren von der Limburg unter Gerlach I. durch ihre Eingriffe in die bürgerlichen Rechte und Freiheiten heraufbeschworen hatten. Belagert und bestürmt in der alten Lintburck, musste sich Gerlach I. in diesem Jahre mit den Bürgern der Stadt Limburg zu einem Vergleich bequemen, in welchem er selbst auf den Bezirk der Burg beschränkt und gegen den Bezug einer Abgabe zur Beschützung der Stadt verpflichtet wurde. Den Bürgern aber musste er den ungestörten Genuss ihrer persönlichen Freiheit, den ungehemmten Betrieb ihres Gewerbes und die unabhängige Gerichtsbarkeit ihres Schöffenstuhles aufs Neue zusichern. Damit bewahrte sich die Bürgerschaft die volle Gerichtsbarkeit der Schöffen; nur nach ihrem Urteil konnte der Herr der Burg das Urteil vollstrecken. Die zivile Gerichtsbarkeit lag völlig bei dem Stadtgericht. Die Schöffen waren die eigentlich zur Urteilsfindung Berufenen. Denn sie "schöpften" ihr Urteil aus dem Wissen um das altehrwürdige, meist mündlich überlieferte und zuweilen eben auch schriftlich in Weistümern bestätigte Recht. Der Richter wurde lediglich deshalb so bezeichnet, weil er die Gerichtsverhandlung zeitlich und örtlich herzu"richten", diese zu leiten und am Ende das Urteil von den Schöffen zu erfragen und zu verkünden hatte. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an die feierliche Gerichtssitzung, welche am 5. Mai 1374 unter den Linden auf dem Burg- oder Domberg stattgefunden hat und welche unter dem Stichwort von dem "strengen Gericht auf dem Berge" in die Geschichte eingegangen ist. Eigentlich ging es um einen Mordprozess; Erzbischof Kuno von Trier, dem die Stadt damals zum Teil verpfändet war, und Johann Herr von Limburg (Johann II.) waren persönlich zusammen mit dem Erzbischof von Köln und anderen Grafen erschienen, um die Schöffen zu befragen, welche Rechte eigentlich ihnen und den Herren der Stadt zugebilligt seien. Es ist ein Zeichen des Mutes, der Klugheit und der Standfestigkeit der Bürger dieser Stadt gewesen, wie die Schöffen ihre alten Rechte um eine unabhängige Justiz an dieser Stelle verteidigten. Tilemann, der Stadtschreiber und Chronist, ist bei dem Gericht zugegen gewesen, hat dessen Ergebnisse in einer Urkunde zusammengefasst und drückt in den Schlusssätzen des Kapitels der Chronik seinen Stolz über die souveräne Haltung der Schöffen aus, die er sogar namentlich aufführt. Dieses, oft als "Limburger Weistum" bezeichnete Schriftstück, gilt als eine Besiegelung der stadtherrlichen Freiheitsrechte.

Ein grundlegender Wandel vollzog sich mit der Übernahme des römischen Rechtes: die Amtmänner, welche eigentlich nur die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörde wahrzunehmen hatten, erlernten auf deutschen und italienischen Universitäten das römische Recht: sie fühlten sich nunmehr auch zur Rechtsprechung befähigt und berufen. Da die Schöffen die lateinische Sprache nicht beherrschten, sahen sie sich der Aufgabe der praktischen Rechtsanwendung zunehmend nicht mehr gewachsen; der abzusehende Machtzuwachs für die Fürsten war vorgezeichnet. Hinzu kam, dass Kaiser Karl V. im Jahre 1532 die "Constituio Criminalis Carolina" erließ, mit der die germanische Verbrechensbekämpfung abgeschafft, klar gefasste Straftatbestände aufgestellt und die Schuldhaftung eingeführt wurden. Zugleich reorganisierte er den Strafprozess und ließ die Folter nur noch bei starken Verdachtsgründen (Indizien) zu. Obwohl die Limburger Bürger in der Folgezeit unter den Trierer Kurfürsten, denen die Stadt verpfändet war, die von ihnen einst erstrittenen Rechte nicht mehr wahren konnten, wurden die "Privilegien" der Stadt bis ins 18. Jahrhundert hinein vom Kaiser bestätigt. In der Wirklichkeit bestimmte jedoch der neue Landesherr, der Erzbischof von Trier, mit der Einsetzung eines Amtmannes die Geschicke. Als Vertreter des Landesherrn in seinem Amtsbereich übte er die Aufsicht, über das Polizei-, Schul- und Straßenwesen sowie über die Finanzen der Stadt aus. Zugleich beaufsichtigte er die Gerichtsbarkeit und führte den Vorsitz bei den alljährlichen Bürgermeisterwahlen. Dieses absolutistische System erhielt sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, als mit der Aufhebung des Kurfürstentums Trier im Jahre 1803 Limburg zu Nassau kam.

2. Rechtspflege und Gerichtsorganisation in Nassau

Durch den Reichsdeputationshauptschluss wurden die erblichen Fürsten, die infolge der Abtretung der rechtsrheinischen Gebiete Besitz an Frankreich verloren hatten, mit der Säkularisation der geistlichen Herrschaften entschädigt. Hessen-Usingen und Nassau-Weilburg, die als Erben von Nassau-Saarbrücken alle Besitzansprüche im Saarland und in der Pfalz an Frankreich abtreten mussten, erhielten unter anderem von Kurtrier Montabaur und Limburg. Das Herzogtum Nassau entstand durch Vereinigung des Fürstentums Nassau-Usingen und der Grafschaft Nassau-Weilburg und schloss die neuerworbenen Gebietsteile in sich ein.

Die ersten wesentlichen Gesetze des Herzogtums Nassau brachten 1803 die allgemeine religiöse Toleranz und Gleichberechtigung der Konfessionen, 1808 die Aufhebung der Leibeigenschaft und 1810 die Freizügigkeit im Herzogtum. In der Folgezeit wurde dies gesetzlich durch die Aufhebung der Steuerfreiheit für einzelne bevorrechtigte Familien zugunsten eines gleichmäßigen Steuersystems und die Abschaffung der Patrimonialgerichtsbarkeit, einer Sondergerichtsbarkeit für die fürstlichen Herrschaften, ergänzt.

Für die Gerichtsorganisation in diesem Raum war der Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803 von grundlegender Bedeutung: Bereits im Juli 1804, also noch vor der Gründung des Rheinbundes 1806, wurde das "Fürstlich-Nassauische Gesamtoberappellationsgericht" in Hadamar gegründet; welches, nachdem der Herrschaft Nassau das "privilegium de non appellando" verliehen worden war, zum ersten Mal ein gemeinsames Obergericht für alle nassauischen Territorien darstellte. Mit dem "privilegium de non appellando" hatte der Landesherr das Recht erworben, durch Gerichte seines Hoheitsbereiches letztinstanzlich entscheiden zu lassen.

Als mittlere Instanz fungierte das durch Organisationsedikt vom 9./11. September 1815 errichtete Hofgericht in Dillenburg, welches für Zivilsachen 1. und 2. Instanz sowie für Ehescheidungsklagen der protestantischen Einwohner des Landes und für Strafsachen als Kriminalgerichtshof zuständig war.

Die Strafgerichtsbarkeit 1. Instanz wurde durch die Kriminalgerichte in Wiesbaden und Dillenburg ausgeübt. Sie erfüllten jedoch keine richterlichen Funktionen. Während es Aufgabe der lokalen Ämter war, die einer Straftat verdächtigen Personen zu ergreifen und diese mit einem Untersuchungsprotokoll an das Kriminalgericht zu verbringen, führte dieses als Untersuchungsbehörde die Inquisition durch und legte die Akten nach abgeschlossener Untersuchung dem Hofgericht vor, das aber in vielen Fällen ebenfalls nicht endgültig entscheiden konnte, weil der Landesherr sich die letzte Entscheidung vorbehalten hatte.

Durch Edikt vom 5. Juni 1816 wurden folgende Ämter dem Kriminalgericht Dillenburg zugeordnet

  1. Weilburg
  2. Runkel
  3. Limburg
  4. Diez
  5. Montabaur
  6. Herschbach (später Selters!)
  7. Hachenburg
  8. Meudt (später Wallmerod)
  9. Hadamar
  10. Rennerod
  11. Herborn
  12. Dillenburg
  13. Marienberg
  14. Reichelsheim (Wetterau)
  15. Atzbach (später preußisch)
  16. Burbach (später preußisch )
  17. Neunkirchen (später preußisch )
  18. Irmgarteichen (prov. Amt)
  19. Netphen (prov. Amt)

Unterste Instanz bildeten die vorgenannten Ämter, von denen auch eines das Amt Limburg war. Wesentlich in dieser Organisation war die Tatsache, dass die Ämter, welche die Gerichtsorganisation 1. Instanz bildeten, zugleich auch die Staatsverwaltung der untersten Stufe besorgten. Der Richter war also kein unabhängiges Organ im Sinne einer dritten Staatsgewalt, sondern ein Exekutivbeamter, ein Amtmann, wie er dann auch offiziell genannt wurde. Er war für Zivilstreitigkeiten und kleinere Strafsachen zuständig und amtierte als Untersuchungsbehörde für die obengenannten Kriminalgerichte sowie für die freiwillige Gerichtsbarkeit. Die Beseitigung dieser Allzuständigkeit eines absolutistischen Systems mit exekutiven und judikativen Befugnissen in einer Person gehörte zu den berühmten politischen Forderungen der Nassauer. In der "Dillenburger Petition" verlangten die 3 Westerwaldstädte Dillenburg, Herborn und Haiger bereits im Februar 1818 unter anderem die Unabhängigkeit der Gerichtsverfassung von der nassauischen Herren- und Deputiertenbank. Dies war auch eine der Hauptforderungen der Revolution vom 2. März 1848. Die Trennung von Justiz und Verwaltung bewilligte Herzog Adolph am 4. März 1848 zwar großzügig. Als Folge dieser liberalen Tendenzen wurden durch Gesetz vom 4. April 1849 die Rechtspflege von der Verwaltung im Zuständigkeitsbereich der Ämter getrennt und die Ämter in Justizämter umbenannt. Im Juli 1849 folgte die geforderte Einführung der Schwurgerichte. Die Restauration erzwang jedoch schon 1854 weitgehend die Rückkehr zum alten Zustand. So wurde durch Gesetz vom 24. Juli 1854 die Trennung von Rechtspflege und Verwaltung in der unteren Instanz wieder beseitigt.

3. Die Annektion Nassaus durch Preußen

Am 17. September 1866 beschloss das preußische Abgeordnetenhaus die Annektion von Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt am Main und Teilen von Hessen Darmstadt. Die letzteren Landesteile wurden zu einer Provinz Hessen-Nassau zusammengefasst. Für die innere Umgestaltung der neuen Landesteile ermöglichte Preußen seiner Verwaltung, die Angleichung auf dem Verwaltungswege ohne parlamentarische Sanktionierung durchzuführen. So wurde durch § 12 der Verordnung vom 22. Februar 1867 für das Herzogtum Nassau die sofortige Trennung der Verwaltung von der Justiz angeordnet. Mit den Verordnungen vom 26. Juni 1867 und 7. August 1867 wurden die Justizfunktionen der bisherigen Ämter den neu errichteten Amtsgerichten übertragen; Dillenburg, Limburg und Wiesbaden wurden außer- dem Sitz von Kreisgerichten. In Wiesbaden errichtete man ein Appellationsgericht. Für die Limburger bedeutete diese neue Regelung im Bereich der Gerichtsorganisation einen Machtzuwachs: aus dem Amt Limburg wurde nicht nur das mit 2 Richtern besetzte Amtsgericht gebildet, dessen erste Funktionen der Amtsassessor Joseph Horn aus Braubach und der Amtsaccessist Balthasar Linz aus Limburg wahrnahmen, sondern Limburg erhielt erstmals auch ein Kreisgericht, dessen Zuständigkeiten von Oberlahnstein bis nach Usingen reichten. Während das Justizsamt schon in nassauischer Zeit in dem später vom Katasteramt besetzten Haus an der Lahn untergebracht war, musste für das Kreisgericht eine neue Bleibe gefunden werden. Zunächst fand das mit 8 Richtern besetzte Kreisgericht Unterkunft am Neumarkt im Bau Schostek-Unkelbach, damals eine Zuckerfabrik, später zeitweise Schule und dann Kreisgericht.

4. Der Kampf ums Landgericht

Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 stellte sich mit der Aufgabe der Verwirklichung der Rechtseinheit im Reich auch die Frage einer einheitlichen Gerichtsorganisation. Die am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Reichsjustizgesetze verwirklichten einen der wichtigsten Schritte auf dem Wege dorthin. Das neu geschaffene Gerichtsverfassungsgesetz sah den Aufbau von Amtsgerichten, Landgerichten, Oberlandesgerichten und einem Reichsgericht vor. Der Hauptstreit entzündete sich an der Frage, welche Städte als Sitz für ein Landgericht in Betracht zu ziehen seien. Hauptkonkurrenten von Limburg waren Dillenburg und Wetzlar. Dillenburg war in nassauischer Zeit Appellationsgericht und später Kreisgericht. Wetzlar war als freie Reichsstadt Sitz des Reichskammergerichts und eines Kreisgerichts. Wetzlar war mit damals 6821 Einwohnern auch die größte der drei konkurrierenden Städte, während Limburg 5122 und Dillenburg nur 2568 Einwohner zählte. Unter diesen Umständen verwunderte es nicht, dass der Regierungsentwurf, der im Oktober 1877 bekannt wurde, Frankfurt als Sitz des Oberlandesgerichts vorsah und die Landgerichte in Frankfurt, Hechingen, Neuwied, Wetzlar und Wiesbaden ansiedelte. In der Begründung des Entwurfs wurde ausgeführt, Dillenburg und Limburg könnten gute Gründe für ihre Wahl anführen. Der naturgemäße Ausgleich des Streites beider Städte sei aber die Wahl von Wetzlar. Diese an der Vereinigung von Lahn und Dill gelegene Stadt bilde den Knotenpunkt, den die beide Teile durchziehende Eisenbahn verbinde und der sowohl nach dem Westerwald als auch nach dem Hinterland einen ebenso günstigen Verkehrsweg wie Dillenburg aufzuweisen habe. In sozialer Hinsicht sei auch der Besitz eines Gymnasiums von besonderer Bedeutung.

Diese Entscheidung ließ die Nassauer nicht ruhen. Dem national-liberalen Abgeordneten Petry gingen zahlreiche Schreiben aus dem nassauischen Lande zu, welche die allgemeine Missstimmung über den Regierungsentwurf wiederspiegelten. In einer am 2. Dezember 1877 in Diez von Vertretern von 14 Ämtern unter dem Vorsitz des Justizrats Dr. Hilf aus Limburg durchgeführten Versammlung, an der auch drei Abgeordnete des preußischen Landestages teilnahmen, wurde eine Resolution mit dem Inhalt verabschiedet, für die drei bisherigen Kreisgerichte Dillenburg, Limburg und Wiesbaden Landgerichte einzurichten. Falls dies nicht möglich sei, sollten innerhalb Nassaus zwei Landgerichte gebildet werden. In einer weiteren Petition vom 8. Dezember 1877 legten Bürgermeister und Gemeinderat der Stadt Limburg die für diese Stadt sprechenden Gründe nochmals im Einzelnen dar:

In Limburg münden mit Einschluß der Aarbahn bereits fünf Bahnlinien, diese verbinden mit ihm die Aemter Diez, Nassau, Runkel, Weilburg, Hadamar und Idstein, mit einer Gesamtbevölkerung von 151.300 Seelen, welche alle ohne nennenswerten Aufwand von Zeit und Geld ihre Rechtsgeschäfte daselbst erledigen können. Die bereits genehmigten und im Detail vermessenen Bahnen über den Westerwald und Montabaur gelangen in den nächsten Jahren zur Ausführung, hierdurch kommen dann auch die Aemter Montabaur, Selters, Rennerod, Hachenburg und Marienberg in direkte Eisenbahn-Verbindung mit Limburg, es wächst damit die durch Eisenbahnen mit unserer Stadt in Verkehr stehende Bevölkerung auf ca. 240.000 Köpfe, welche alle zu den Morgenterminen am  Gerichtssitz Limburg von ihrer Heimath aus erscheinen und am Abende wieder dahin zurückkehren können. Auch das nicht unmittelbar an einer der Bahnen liegende Amt Nastätten würde am liebsten seinen Gerichtssitz in Limburg haben, da einerseits die Lahnbahn und andernseits die Aarbahn in seine nächste Nähe führen.

Von den Bewohnern dieser Aemter sind die Vorteile, die ihnen ein Gerichtssitz in Limburg bietet, auch schon längst erkannt worden, denn sie haben fast alle in irgendeiner Weise um Zuteilung nach Limburg petitioniert, theils an den Herrn Justizminister, theils an das Haus der Abgeordneten, durch die Kreistage an den Herrn Minister des Innern und durch die Handelskammer an den Herrn Handelsminister.

Eine weitere, am 9. Dezember von 8 Ämtern in Limburg besuchte Versammlung sprach sich ebenfalls für diese Stadt aus. Am 13. und 14. Dezember 1877 entschied die XII. Kommission des Abgeordnetenhauses des preußischen Landtages über die Verteilung der Oberlandesgerichte und Landgericht in Hessen. Kassel und Frankfurt erhielten ein Oberlandesgericht; die Bildung des Landgerichts Limburg wurde mit 20 zu 8 Stimmen beschlossen. Am 19. Dezember 1877 verkündete ein Extrablatt, dass das Abgeordnetenhaus die Beschlüsse der Kommission angenommen habe. Der national-liberale Abgeordnete Petri fasste in einem "Promemoria" unter dem 28. Dezember 1877 die wesentlichsten Gesichtspunkte für die Wahl Limburgs in der XII. Kommission nochmals u.a. so zusammen:

Nur diese Stadt kann als gegebenes Zentrum des Bezirks betrachtet werden. Dillenburg, welches die ursprüngliche Regierungsvorlage in Berücksichtigung der Gefühle der Nassauischen Bevölkerung in das Auge gefasst hatte, liegt jetzt isoliert in der nördlichen, Wetzlar, welches die spätere Regierungsvorlage in das Auge gefasst hatte, isoliert in der südöstlichen Ecke des Bezirks. Nach der Abtrennung des Kreises Biedenkopf kann in der That neben Limburg höchstens nur noch von Wetzlar als Sitz des Landgerichts die Rede sein. Für die Wahl Limburgs sprechen aber folgende Gründe: Nach einer auf Grund der officiellen Entfernungstabelle aufgestellten genauen Berechnung haben nur die Bewohner des Kreises Wetzlar, des Dillkreises und 22 Gemeinden des zu dem Oberlahnkreis gehörigen Amts Weilburg, zusammen 93.200 Seelen, näher nach Wetzlar, während die übrigen Bewohner des Oberlahnkreises, die Bewohner der Aemter Limburg, Diez, Nassau, Marienberg und Rennerod zusammen 129.670 Seelen, näher nach Limburg haben. Die zu Gunsten Limburgs sich ergebende Differenz von 36.470 Seelen fällt um so mehr in das Gewicht, als die nach Limburg gravitirende Bevölkerung des Bezirks die wohlhabendere ist und daher häufiger an den Gerichtssitz geführt werden wird. Dermalen sind in der Stadt Limburg allein fünf Rechtsanwälte beschäftigt, während der ganze nach Wetzlar gravitirende Teil des Landgerichtsbezirks sechs beschäftigt. Außer den in Limburg selbst seßhaften fünf Anwälten finden aber in dem nach Limburg gravitirenden Teil des Bezirks noch weitere fünf Rechtsanwälte ausreichende Beschäftigung.

Wetzlar hat allerdings einige hundert Einwohner mehr als Limburg, dagegen liegt in seiner Nähe nur noch das Städtchen Braunfels und in dem nach ihm gravitirenden Teil des Landgerichtsbezirks nur die Städte Dillenburg, Herborn und Haiger. In der nächsten Umgebung Limburgs und mit ihm durch Eisenbahn verbunden liegen dagegen die fast ebenso volkreichen Städtchen Diez, Hadamar und Runkel und in dem nach ihm gravitirenden Teil des Landgerichtsbezirks außerdem die Städte Ems, Weilburg, Nassau, Westerburg, Holzappel und eine große Menge volkreicher Flecken und Dörfer, wie Elz, Villmar, Kirberg etc. Limburg ist eine uralte Ansiedlung, Sitz der Salier schon im 9. Jahrhundert.

Von seiner Bedeutung im Mittelalter zeugt sein Dom und die berühmte Limburger Chronik. Von dem Niedergang, welchen ihm der 30jährige und die französischen Revolutionskriege bereitet hatten, hat es sich vollständig erholt. Der alte Bürgersinn und Unternehmungsgeist ist wieder erwacht. Es ist das unbestrittene Zentrum des großartigen industriellen und commerciellen Lebens des Lahnthals. Fünf  Eisenbahnen, die durchgehende Lahnbahn, zugleich ein integrirender Bestandtheil der Linie Memel- Metz, die Aarbahn, die Westerwälder Bahn und die Frankfurt-Wiesbadener Bahn münden daselbst. Eine sechste Linie über Montabaur nach dem Rhein wird in nächster Zeit in Angriff genommen. Auch mit dem Dillkreis ist durch die in die Lahnbahn einmündende Dillbahn eine leichte Verbindung hergestellt. Es ist zugleich der Hauptstapelplatz der schiffbaren Lahn.

5. Die Errichtung des Landgerichts

Das Gesetz betreffend die Errichtung der Oberlandesgerichte und der Landgerichte wurde am 4. März 1878 in Berlin ausgefertigt und trat zum 1. Oktober 1879 in Kraft.

Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten Nr. 12 (Nr. 8554)

Gesetz, betreffend die Errichtung der Oberlandesgerichte und der Landgerichte. Vom 4. März 1878.

- Auszug -

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages der Monarchie, was folgt

§ 1. Oberlandesgerichte werden errichtet zu Königsberg, Marienwerder, Berlin, Stettin, Posen, Breslau, Naumburg a.S., Kiel, Celle, Hamm, Cassel, Frankfurt a.M., Cöln.

§ 3. Die Bezirke der Oberlandesgerichte und der Landgerichte werden nach Maßgabe des anliegenden Verzeichnisses gebildet.

§ 5. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 in Kraft. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Insiegel.

Gegeben Berlin, den 4. März 1878. Wilhelm. (L.S.)

Camphausen. Leonhardt. Falk. v. Karneke. Achenbach. Friedenthal. v. Bülow. Hofmann Anlage zu § 3

Anlage zu § 3

  • Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt a. Main Landgericht Frankfurt a. M
    Kreis Frankfurt. Amt Homburg. Aus dem Kreise Wiesbaden die Stadt Rödelheim. Aus dem Kreise Hanau die Ortschaften Bockenheim, Eckenheim, Eschersheim, Ginnheim und Praunheim
  • Landgericht Hechingen
    Die Hohenzollernschen Lande
  • Landgericht Limburg a.d. L.
    Kreis Wetzlar. Kreis Dill. Kreis Oberlahn. Amt Limburg. Amt Diez. Amt Marienberg. Amt Rennerod. Am Nassau.
  • Landgericht Neuwied Kreis Neuwied. Kreis Altenkirchen, mit Ausschluß der Bürgermeistereien Friesenhagen und Wissen rechts der Sieg. Vom Kreise Koblenz der Teil rechts des Rheines. Kreis Unterwesterwald. Amt Hachenburg.
  • Landgericht Wiesbaden
    Kreis Wiesbaden (Stadt). Kreis Wiesbaden (Land), mit Ausschluß der nach Frankfurt a. M. gewiesenen Stadt Rödelheim. Kreis Untertaunus. Kreis Rheingau. Amt Nastätten. Amt Königstein. Amt Usingen.

Die so eingeführte Gerichtsverfassung der preußischen Provinz Hessen-Nassau blieb bis zum 30. Juli 1932 weitgehend unverändert bestehen. Von der dann verfügten Aufhebung zahlreicher Amtsgerichte im hessischen Raum wurde zwar das Gefüge des unteren Justizwesens erheblich betroffen, die Limburger Verhältnisse jedoch nicht grundlegend berührt.

Das Landgericht Limburg nahm am 1. Oktober 1879 im jetzigen Postgebäude in der Frankfurter Straße seine Arbeit auf. Zum ersten Präsidenten wurde der am bisherigen Kreisgericht in Fulda tätige Wilhelm Schröder bestimmt, der aus Hachenburg stammte. Zu dem Landgerichtsbezirk gehörten 14 Amtsgerichte: Wetzlar, BraunfeIs, Ehringshausen, Dillenburg, Herborn, Runkel, Weilburg, Hadamar, Limburg, Diez, Marienberg, Rennerod, Nassau und Bad Ems.

Zunächst galt es, ein geeignetes Gebäude zu errichten. Die Stadt bot ein an der Hospitalstraße gelegenes Gelände für den Neubau an. Der Justizfiskus hielt das Gelände jedoch nicht für geeignet und schlug den Standort an der Schiede vor. In dem Vertrag vom 15. April 1879 verpflichtete sich die Stadtgemeinde Limburg der königlich preußischen Justizverwaltung gegenüber, "ein neues Gerichtsgebäude auf der Stadtgemeinde Kosten zu erbauen und die zur Errichtung eines Gefängnisses nebst Gefangenenhof erforderliche Grundfläche im Anschluss an das für das Landgericht bestimmte Grundstück auf ihre Kosten" zu beschaffen. Das fertige Gebäude verblieb im Eigentum der Stadt. Der Justizfiskus zahlte eine jährliche Miete. Erst mit Kaufvertrag vom 12. November 1942 wurden Gebäude und Grundstück von der Stadt auf das Deutsche Reich übertragen. Das Landgericht Limburg nahm endgültig seine Tätigkeit am 29. März 1882 im jetzigen Gebäude an der Schiede auf, das in seiner äußeren Struktur, außer dem im Jahre 1954 errichteten Erweiterungsbau, unverändert blieb.

Besonderer Erwähnung bedarf in dieser Zeit der damalige Präsident des Landgerichts Wilhelm Marx. Zwar war er nur vom 1. April bis 30. November 1921 Präsident in Limburg und wurde dann Senatspräsident am Kammgericht Berlin. Im politischen Leben Deutschlands spielte er jedoch eine große Rolle. Er wurde 1923 zum Reichskanzler gewählt, übte dieses Amt bis 1925 und erneut von 1926 - 1928 aus. 1925 kandidierte er für das Amt des Reichspräsidenten, unterlag aber Hindenburg.

In diese Zeit fällt auch ein Prozess, der ungewöhnlich viel Aufsehen erregt hat und deshalb von weittragender Bedeutung war, weil letztmals eine vom Landgericht Limburg verhängte Todesstrafe öffentlich vollstreckt wurde: der Prozess Angerstein.

6. Das Landgericht und das Dritte Reich

Gegen Ende der Weimarer Zeit mussten sich auch die Limburger Gerichte zunehmend mit politisch motivierten Prozessen befassen. Trotz der recht schwierigen Verhältnisse bewahrte sich die Limburger Justiz zunächst ihre Unabhängigkeit. Als Angehörige einer insgesamt 34 Mann starken Sturmabteilung der NSDAP sich am Sonntag, dem 31. Juli 1932, aus Anlass der Reichstagswahlen in Dauborn aufhielten und vier von ihnen zwei Passanten, die sie für Kommunisten ansahen und von denen sie sich bedroht und beleidigt fühlten, zusammenschlugen, verurteilte das Schöffengericht Limburg die vier SA-Männer am 4. August 1932 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu hohen Freiheitsstrafen ohne Bewährung. In der Folgezeit erwies sich jedoch, dass die Unabhängigkeit der Justiz nicht so fest gefügt war, wie dies wünschenswert gewesen wäre. Mit der Trennung von Justiz und Verwaltung, mit der Einführung der Reichsjustizgesetze und mit der Errichtung von Amts- und Landgerichten waren wohl äußerlich Verwaltung und Rechtspflege getrennt worden. Der Kampf um die richterliche Unabhängigkeit im Sinne einer von den Einflüssen der Exekutive weitgehend freien, um objektive Entscheidungsfindung bemühten Persönlichkeit war jedoch noch nicht entschieden. Obwohl das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit von der Weimarer Verfassung erstmals in den Rang des Verfassungsrechts erhoben wurde, waren viele Richter jener Zeit nach ihrem Status und ihrem eigenen Verständnis richterliche Beamte, die Weisungen weitgehend kritiklos entgegennahmen und durchzuführen bereit waren. Nur so lässt es sich erklären, dass in der Folgezeit so entsetzliches Unrecht im Namen des Volkes durch Richter geschehen konnte. Der Landgerichtsbezirk umfasste zu dieser Zeit 18 Amtsgerichte: Braunfels, Camberg, Diez, Ehringshausen, Bad Ems, Hachenburg, Hadamar, Höhr-Grenzhausen, Limburg, Marienberg, Montabaur, Nassau, Rennerod, Runkel, Selters, Wallmerod, Weilburg und Wetzlar.

Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wird im Landgerichtsbezirk Limburg nur durch zwei Lichtblicke erhellt, welche die freiheitliche und rechtsstaatliche Tradition der Limburger Justiz erkennen lassen: Der Richter Leo Sternberg, in Limburg geboren, als Richter in Hadamar, Hachenburg, Wallmerod und zuletzt in Rüdesheim tätig, hat als Dichter und Schriftsteller nicht nur die landschaftlichen und baulichen Schönheiten seiner Heimat beschrieben, sondern darüber hinaus die Verteidigung der rechtsstaatlichen und kulturellen Werte auch nach außen hin über die beruflichen Grenzen hinweg vertreten. Die Tragik seines Schicksals dokumentiert die Tragik der Justiz im Dritten Reich: gleichgeschaltet und missbraucht für ein Rechtssystem, dass die primitivsten Werte der menschlichen Gesellschaft missachtete.

Einen zweiten Lichtblick in dieser dunklen Zeit bildete das mutige Eintreten des damaligen Amtsrichters Eduard Kuhl aus Hadamar, der seinem Landgerichtspräsidenten über die Vergasung tausender Unschuldiger in der Gaskammer der Heil- und Pflegeanstalt Hadamar berichtete. Die Weitergabe dieses Berichtes durch den Präsidenten Dr. Luther an den damaligen Chefpräsidenten des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main Professor Ungewitter und dessen Bericht an den Reichsminister der Justiz in Berlin über die Euthanasie in Hadamar sind beredte Zeugnisse für das Eintreten von Richtern für Recht und Gerechtigkeit auch in schwierigen und gefährlichen Zeiten. Das Zusammenwirken dieses Berichtes mit einer Predigt des Kardinals von Galen am 20. Juli 1941 sowie einem Schreiben des Bischofs Dr. Hilfrich aus Limburg an den Reichsminister der Justiz vom 13. August 1941 führten letztlich zu einer Einstellung der Vergasungsaktion in Hadamar, wenn auch einige Zeit später die Tötung von als geisteskranken, geistesschwachen oder rassisch minderwertig Eingestuften und von Fremdarbeitern auf andere Weise wieder aufgenommen und bis zum Kriegsende fortgeführt wurde.

7. Die Neuorganisation der Justiz

Die totale Niederlage und der Einmarsch amerikanischer Truppen brachten 1945 die gesamte Rechtspflege zum Stillstand. Erst im Juni 1945 erhielt das Amtsgericht Limburg von der amerikanischen Militärregierung die Genehmigung, seine Tätigkeit und die seiner Zweigstellen in Hadamar und Camberg in geringem Umfang wieder aufzunehmen. Das Landgericht wurde unter seinem neuen Präsidenten Dr. Lehr zusammen mit dem Landgerichtsrat Dr. Kuhlmann und der Landgerichtsrätin Dwucet am 1. Oktober 1945 wieder eröffnet.

Die Einteilung Deutschlands in verschiedene Besatzungszonen brachte es mit sich, dass ein Teil des Landgerichtsbezirks unter französische Herrschaft kam. Damit verlor der Bezirk die Amtsgerichte Diez, Bad Ems, Hachenburg, Höhr-Grenzhausen, Marienberg, Montabaur, Nassau, Rennerod, Selters und Wallmerod an das Landgericht Koblenz. Bei Gründung des Landes Hessen am 1. Oktober 1945 zählten zu dem Landgerichtsbezirk Limburg nur noch die Amtsgerichte Biedenkopf, Braunfels, Ehringshausen, Dillenburg, Gladenbach, Hadamar, Herborn, Limburg, Runkel, Weilburg und Wetzlar. Das Amtsgericht Camberg blieb zunächst als Zweigstelle des Amtsgerichts Limburg erhalten, wurde aber am 31. Mai 1968 aufgelöst. Einen weiteren entscheidenden Einschnitt bildete die Abtretung der Amtsgerichte Biedenkopf und Gladenbach, die ab 1. Januar 1949 wieder dem Landgericht Marburg zugeschlagen wurden.

Ein erneuter Kampf um das Landgericht entbrannte im Vorfeld der Arbeiten für die Neueinteilung der hessischen Gerichtsorganisation. Ziel des Gesetzes war die Angleichung der Gerichtsbezirke an die kommunalen und Kreisgrenzen. Im Zuge des Gesetzgebungsvorhabens stand auch die Aufhebung kleinerer Landgerichte, wozu Limburg aufgrund seiner an Rheinland-Pfalz verlorenen Amtsgerichte gehörte, zur Diskussion. Mit Engagement sammelten die Limburger Bürger Unterschriften für den Fortbestand des Landgerichts. Am 3. Januar 1977 überreichten sie eine Liste mit 15.000 Unterschriften.

Der Richter unserer Zeit ist durch das Grundgesetz verfassungsrechtlich etabliert und zum Träger der dritten Gewalt geworden. Die Rechtsschutzgarantie in Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz sichert der Rechtsprechung eine umfassende Prüfungskompetenz zu. Das umfangreiche Aufgabenfeld, das keinen rechtsfreien Raum mehr kennt, bedingt die staatspolitische Bedeutung richterlicher Tätigkeit. Sie geht weit über eine schlichte Rechtsanwendung hinaus. Die klassische Formulierung richterlicher Tätigkeit "als des Mundes, durch den die Gesetze sprechen" (Montesquieu), hat im richterlichen Alltag unserer Zeit keine Bedeutung mehr: zahlreiche Gesetze haben keinen eindeutigen Inhalt; Generalklauseln bedürfen der Ausfüllung durch die Rechtsprechung; in Konfliktbereichen, die vom Gesetzgeber nicht oder nur unvollkommen geregelt sind, muss die Rechtsprechung Grundsätze über den Einzelfall hinaus erarbeiten und eigenständige Regelungen entwickeln. Dies ist auf dem Gebiete des Arbeitsrechtes, des Tarifrechtes und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen besonders deutlich geworden.

Die Aufgabe des Richters in der heutigen Zeit erfordert demgemäß einen anderen Richtertypus als den, den wir aus der Vergangenheit kennen. Die Rechtsanwendung ohne Ansehen der Person ist zwar nach wie vor die Grundpflicht richterlichen Handeins. Der Richter von heute muss jedoch die komplexe Wirklichkeit des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens in ihren mannigfaltigen sozialen und politischen Bezügen kennen und seine Entscheidungen in dieser Kenntnis aus der Wertordnung unserer Verfassung schöpfen. Eine solche Amtsausübung setzt voraus, dass der Richter sich aktiv zum Grundgesetz bekennt und positiv für die Wertentscheidungen dieser Verfassung eintritt.

Die Justiz, und dabei insbesondere die Rechtsprechung, ist neben der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt die dritte Säule des Staates, eine Säule, ohne die der Rechtsstaat unserer heutigen Prägung gar nicht mehr denkbar ist. Aus diesem Grund ist es ein außerordentliches Erfordernis, dass die Organe der Justiz einschließlich der Staatsanwaltschaft, der Rechtsanwaltschaft, der Bewährungshilfe, der Gerichtshilfe, des Gerichtsvollzieherdienstes und des Schiedsmannswesens uneingeschränkt funktionieren und zusammenarbeiten, und dies nach außen der Öffentlichkeit und den Bürgern sichtbar und bewusst machen. Die Justiz wird noch zu oft als das zwar notwendige, aber ungeliebte Stiefkind der Republik behandelt und es wird vergessen, dass letztlich sie es ist, die neben Polizei und Bundeswehr als äußerer Sicherung jedem einzelnen Bürger die Inanspruchnahme und volle Ausschöpfung seiner Grundrechte im Innern des Staates garantiert.