Der jüdische Rechtsanwalt Max Ludwig Cahn hat diese beeindruckende Auseinandersetzung in seinem Tagebuch festgehalten:
„Freisler wandte sich gegen die ‚Objektivität‘ der Rechtsprechung. Recht sei, was dem Volke, der erwachenden Nation diene. Das allein müsse die Richtschnur sein. (…). Auf die Person des Täters und seine Gesinnung komme es an … usw. Das Reichsgericht habe einen Boykott als unsittlich bezeichnet. Das habe keine Geltung mehr. Wenn die Regierung der nationalen Erhebung den Boykott ansetze, sei er für jeden Deutschen höchste sittliche Pflicht.
Zunächst antwortete Herr Oberlandesgerichtspräsident Dr. Hempen – kurz, aber sehr gewunden. Dann stellte er dem Ministerialdirektor Herrn Heldmann als den ältesten Senatspräsidenten vor. Der übersah die ihm entgegengestreckte Hand und sagte laut – leider nicht laut genug – etwa Folgendes:
‚Herr Ministerialdirektor, ich bin jetzt 30 Jahre Richter und habe mich stets bemüht, objektiv und ohne Ansehen der Person Recht zu sprechen. Das werde ich auch weiter tun und hoffe, dass alle Frankfurter Richter ein Gleiches tun werden.‘
Und weiter etwa:
‚An dem Gebäude des Oberlandesgerichts in Kassel, an dem Sie die Ehre hatten, tätig zu sein, stehen die Worte: Dem ewigen Rechte! Diesem ewigen Rechte war ich bisher bemüht zu dienen und werde ihm auch weiter dienen. Und verantwortlich fühle ich mich dafür nur dem höchsten Richter dort oben, nicht irgendeiner Tagesmeinung.‘
Freisler erwiderte nicht ungewandt:
‚Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre bewegten Worte. Ich hoffe, wir haben uns verstanden: Das ewige Recht, dem wir alle dienen müssen, ist das Recht der erwachenden Nation!‘
Heldmann aber schüttelte (langsam, aber sehr entschieden) den Kopf und sagte:
‚Nein Herr Ministerialdirektor, Sie haben mich nicht verstanden! Wir beide werden uns auch nicht verstehen.‘
Dr. Heinrich Heldmann, Jahrgang 1871, war seit 1924 Vizepräsident des Oberlandesgerichts. Er führte den Vorsitz im 5. Zivilsenat. 1937 trat er in den Ruhestand. Im Sommer 1945 wurde er als neuer Präsident des Oberlandesgerichts vorgeschlagen, lehnte aber ab. Er starb plötzlich im Oktober 1945.
Quellen: Peter Cahn, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe von Max Ludwig Cahn und Tilly Cahn, Eintragung am 19.04. 1933, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst Bd. 65, S. 193 f.
Bildquellen: LG Frankfurt am Main, Bildarchiv; Frankfurter Diakonissenhaus, Archiv, Photosammlung 7