Vor der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main werden in erster Instanz reise-rechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert über 5.000 € verhandelt. Außerdem ist diese Kammer zuständig für Berufungen gegen Urteile in Reisesachen der Amtsgerichte Frankfurt, Frankfurt Höchst, Königstein i. Ts. und Bad Homburg v. d. H.
Die folgenden Entscheidungen entstammen der aktuelleren Rechtsprechung der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main:
Schiffsreise in Schottland per Bus
In diesem Fall hatte ein Ehepaar eine elftätige Schiffsreise „Das Herz der schottischen Highlands“ für insgesamt rund 13.000 Euro gebucht. Im geplanten Reiseverlauf war unter anderem eine Fahrt durch den Kaledonischen Kanal ab Inverness vorgesehen. Am vierten Reisetag stellte sich heraus, dass der Kanal wegen Reparaturen an der Gairlochy-Swing-Brücke nicht befahren werden konnte. Das Schiff musste am Ende des Kanals im Hafen von Corpach liegen bleiben. Deswegen fiel auch ein Besuch von Inverness, dem Schlachtfeld von Culloden sowie der bronzezeitlichen Steinhügelgräber von Clava Cairns aus. Während ursprünglich sieben Übernachtungen an unterschiedlichen Liegeplätzen vorgesehen waren, verblieb das Schiff zwei Nächte in Corpach und drei Nächte in Orban. Es wurde ein Alternativprogramm über Land per Bus organisiert. Als das Schiff am sechsten Reisetag endlich in Richtung der Insel Mull weiterfahren sollte, entschied der Kapitän, wegen des starken Windes nicht durch den Sound of Mull, sondern direkt zurück nach Orban zu fahren. Aufgrund des schlechten Wetters war am Folgetag auch ein Besuch der Isle of Eigg nicht mehr möglich.
Die Reiserechtskammer gab der Klage der Eheleute auf Minderung des Reisepreises statt. Da der Kaledonische Kanal nicht befahrbar gewesen sei, seien ein Kernelement der Reise und mehrere bedeutende Besichtigungen weggefallen. „Zwei Drittel der vollen Schiffstage konnten nicht mit dem Erlebniswert und dem Charakter einer Schiffsreise verbracht werden. Das Schiff wurde stattdessen nur als ‚schwimmendes Hotel‘ genutzt“, so die Reiserechtskammer. Der Minderungsbetrag könne deswegen nicht durch schematische Gegenüberstellung der geschuldeten und tatsächlich erbrachten Reiseleistungen errechnet werden. Er sei vielmehr „unter wertender Betrachtung der einzelnen Programmpunkte zu ermitteln“. Da eine Minderung ein Verschulden des Reiseveranstalters nicht voraussetze, sei es auch unerheblich, dass das Schiff nur wegen schlechten Wetters nicht an der Insel Mull und an der Isle of Eigg anlanden konnte. Insgesamt sprach die Reiserechtskammer eine Minderung von 25 % des Gesamtreisepreises, also in Höhe von rund 3.300 Euro zu.
Den Klägern stünde jedoch kein Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden zu, befand die Reiserechtskammer weiter. Denn im Gegensatz zum Minderungsrecht erfordere der Schadensersatz ein Verschulden des Reiseveranstalters. Das sei nicht gegeben. „Es traten außergewöhnliche und für die Beklagte unvermeidbare Umstände auf. Weder die kaputte Schwingbrücke, die behördlich angeordnete Nichtbefahrbarkeit des Kaledonischen Kanals noch die Wetterentwicklung sind von der Beklagten zu vertreten“, begründete die Kammer ihre Entscheidung.
Das Urteil vom 14.2.2024 ist rechtskräftig (Az.: 2-24 O 564/23).
Fehlinformation der Flug-Hotline
Drei Personen buchten im August 2022 einen Flug von Shiraz nach Doha und von dort weiter nach Frankfurt am Main. Als sie am Reisetag am Flughafen in Shiraz eintrafen, erfuhren sie, dass der Flug bereits fünf Tage zuvor per E-Mail annulliert worden war. Die verspätete Information durch die Fluggesellschaft beruhte auf Internetrestriktionen im Iran, die verhinderten, dass das E-Mail-Programm sich aktualisierte. Die Reisegruppe buchte daraufhin Ersatztickets für insgesamt knapp 15.000 Euro. Vor dem Landgericht Frankfurt am Main klagten die Reisenden auf Erstattung dieses Betrages durch die Fluggesellschaft. Die Airline verteidigte sich damit, sie hätte bereits Ersatzflüge für den übernächsten Tag organisiert, so dass die Kläger nicht ihrerseits Tickets hätten erwerben müssen.
Die Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main entschied, dass die Fluggesellschaft die Kosten für die Ersatztickets zu erstatten habe. Ob die Airline tatsächlich Ersatzflüge organisiert habe, könne dahinstehen. „Denn eine Callcenter-Mitarbeiterin in Deutschland erteilte jedenfalls die – unterstellt – fehlerhafte Auskunft, dass Ersatzflüge nicht angeboten werden könnten und sich die Fluggäste selbständig um eine Rückkehr kümmern müssten“, begründete die Kammer ihre Entscheidung. Davon war das Gericht aufgrund der Aussage eines Zeugen überzeugt, der das Telefonat von Deutschland aus für die Reisenden mit dem Call-Center geführt hatte. „Die Auskunft der Callcenter-Mitarbeiterin muss sich die Beklagte zurechnen lassen.“
Das Urteil vom 15.5.2024 (Az.: 2-24 O 82/23) ist nicht rechtskräftig. Dagegen wurde Berufung bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelegt (Az.: 16 U 89/24).
Verkehrssicherungspflicht in ägyptischem Hotel
Die Klägerin buchte 2019 bei der Beklagten eine einwöchige Pauschalreise in einem Hotel in Hrughada. Das Hotel verfügt seit 2007 über eine ägyptische Betriebslizenz und wird von verschiedenen Reiseveranstaltern vertrieben.
Im späteren Prozess machte die Klägerin geltend, sie habe an einem Reisetag an der Wassergymnastik teilnehmen wollen. Vor der Gymnastik habe sie die Damentoilette am Pool aufgesucht. Beim Hinausgehen habe sie aufgrund der hellen Fliesenfarbe und der spärlichen Beleuchtung eine Stufe übersehen und sei schwer gestürzt. Sie habe einen dreifachen Bruch des Sprunggelenkes erlitten, der mehrfach stationär und operativ habe versorgt werden müssen. Sie verlangte ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000 €.
Die Reiserechtskammer wies ihre Klage ab. „Die Toilettenanlage, in welcher die Klägerin stürzte, stellt keine Gefahrenquelle dar, für die der Hotelbetreiber oder der beklagte Reiseveranstalter eine Beseitigungspflicht aufgrund einer Fürsorge- oder Verkehrssicherungspflicht traf“, so das Gericht. „Zwar muss sich ein Reiseveranstalter, der ein Hotel unter Vertrag nimmt, vergewissern, dass das Hotel nicht nur den gewünschten und angebotenen Komfort hat, sondern auch über einen ausreichenden Sicherheitsstandard verfügt. (…) Er muss aber nicht für alle denkbaren Schäden Vorsorge treffen, sondern nur diejenigen Vorkehrungen ergreifen, die nach den konkreten Umständen erforderlich und zumutbar sind“, erklärte die Kammer weiter.
Eine Verkehrssicherungs- oder Fürsorgepflicht sei vorliegend durch den Reiseveranstalter bzw. den Hotelier nicht verletzt worden. Denn in Ägypten existierten weder einschlägige Sicherheitsbestimmungen noch Bauvorschriften für die Gestaltung von Stufen in bzw. vor Toilettenanlagen. Ägyptische Regelungen zur Fliesenfarbe oder zur Vorbeugung von Rutsch- und Stolpergefahren gebe es ebenfalls nicht. Im Übrigen sei das Hotel schon seit 2007 in Betrieb und verfüge über eine entsprechende Lizenz. Die Innenausgestaltung der Toilettenanlage sei von der Betriebslizenz umfasst.
Das Urteil vom 25.1.2023 (Az.: 2-24 O 162/20) ist rechtskräftig. In einem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main schlossen die Parteien einen Vergleich (Az.: 16 U 21/23).
Toilettenpausen auf Busfahrt nach Polen
Der Kläger buchte eine 14-tätige Busreise nach Polen plus Ausflug nach Stettin zu einem Gesamtpreis von rund 700 Euro. Laut Reiseunterlagen stand im Reisebus aufgrund der seinerzeitigen Corona-Pandemie keine Toilette zur Verfügung. Regelmäßige Pausen im Abstand von 90 bis ca. 120 Minuten waren eingeplant. Nach Zustieg aller Gäste in Stuttgart erfolgte der letzte Stopp auf der Höhe von Erfurt. Danach geriet der Bus in verschiedene Staus. Auf Drängen mehrerer Gäste öffnete der Busfahrer später doch die Bustoilette.
Im Hotel in Polen angekommen zeigten sich beim Kläger gesundheitliche Beschwerden. Der örtliche Reiseleiter organisierte einen Arztbesuch im Hotel für den übernächsten Tag. Der Arzt verordnete Medikamente und erkundigte sich in den darauffolgenden Tagen nach dem Befinden des Klägers. Dieser wünschte jedoch, ausschließlich in ein deutsches Krankenhaus gebracht zu werden. Als seine Beschwerden sich nicht besserten, begab er sich auf eigene Kosten mittels Taxi in ein deutsches Krankenhaus, wo er vier Tage lang stationär behandelt wurde.
Im späteren Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main trug der Kläger vor, es habe auf der Busfahrt zwischen dem letzten Halt um 10 Uhr bis 14 Uhr keine Möglichkeit für einen Toilettengang bestanden. Er habe vier Stunden unter quälendem Harndrang gelitten. Dies habe zu gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Dauerfolgen geführt, denn er habe in den folgenden acht Tagen weder Urin noch Stuhlgang lassen können. Mit seiner Klage verlangte er neben der Erstattung der Reise- und Beförderungskosten unter anderem auch ein Schmerzensgeld von mindestens 3.000 Euro.
Die Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main wies die Klage ab, nachdem sie mehrere Zeugen zu den Abläufen auf der Busfahrt vernommen hatte. Nach deren Aussagen konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass es seit dem Halt bei Erfurt tatsächlich vier Stunden dauerte, bis die Bustoilette geöffnet wurde. Außerdem habe der Kläger nach seinen eigenen Angaben sein Unwohlsein zwar den Mitreisenden mitgeteilt, nicht aber dem Busfahrer. Die Reiserechtskammer führte weiter aus: „Dass (…) der Bus in einen bzw. mehrere Staus geriet, ist der Beklagten nicht anzulasten, sondern Bestandteil des allgemeinen Lebensrisikos einer Bus- oder Autofahrt.“
Eine Pflichtverletzung des Reiseveranstalters während des Hotelaufenthaltes in Polen vermochte die Kammer ebenfalls nicht zu erkennen. Zwar sei „der Reiseveranstalter verpflichtet, dem Reisenden, welcher sich z.B. wegen gesundheitlichen Beschwerden in Schwierigkeiten befindet, unverzüglich in angemessener Weise Bestand zu leisten.“ Ein angemessener Beistand sei dem Kläger durch den örtlichen Reiseleiter aber gewährt worden. „Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, der örtliche Reiseleiter hätte (…) einen Transfer in ein deutsches Krankenhaus veranlassen müssen, überspannt er die Beistandspflichten der Beklagten“, befand die Reiserechtskammer. „Den Transport in ein polnisches Krankenhaus wünschte der Kläger hingegen unstreitig nicht.“
Das Urteil vom 20.9.2023 (Az.: 2-24 O 62/21) ist rechtskräftig. Dagegen wurde Berufung bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelegt (Az.: 16 U 120/23).