Vor der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main werden in erster Instanz reiserechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert über 5.000 € verhandelt. Außerdem ist die Reiserechtskammer zuständig für Berufungen gegen Urteile in Reisesachen der Amtsgerichte Frankfurt, Frankfurt Höchst, Königstein i. Ts. und Bad Homburg v. d. H.
Die folgenden Entscheidungen der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main sind im vergangenen Jahr unter anderem ergangen:
Überschwemmungen in Italien
In diesem Fall hatte der spätere Kläger für sich und eine weitere Person eine Pauschalreise „Kultur und Genuss in Italien 2023“ zu einem Preis von rund 2.400 € gebucht. Die Reise sollte vom 12. bis 19. Juni 2023 stattfinden. Am 16. Mai 2023 ereigneten sich in Norditalien heftige Unwetter. In der Region Bologna wurde der Katastrophenalarm ausgelöst. Es kam zu Erdrutschen und Überflutungen sowie etlichen Todesopfern. Nach dem Unwetter waren die Straßen aufgrund massiver Müllmengen kaum passierbar. Es wurden Badeverbote verhängt, da Coli-Bakterien über überflutete Flüsse ins Meer gelangt waren. Strände wurden geschlossen und es bestand die Gefahr einer Mückenplage.
Der Kläger erklärte einen Tag nach dem Unwetter, am 17. Mai 2023, den Rücktritt von der Reise und verlangte den bereits gezahlten Reisepreis zurück.
Das Amtsgericht gab seiner Klage statt. Die Berufung des Reiseveranstalters gegen diese Entscheidung hatte vor der Reiserechtskammer des Landgerichts keinen Erfolg.
Die Kammer erklärte, der Kläger habe vor Reisebeginn jederzeit vom Vertrag zurücktreten können. Grundsätzlich eröffne das Gesetz dem Reiseveranstalter im Gegenzug zwar einen Entschädigungsanspruch, den er dem Reisenden entgegenhalten könne. Im vorliegenden Fall stünde dem Reiseveranstalter jedoch keine Entschädigung zu.
Die Reiserechtskammer führte in ihrer Berufungsentscheidung aus: „Der Reisende schuldet keine Rücktrittsentschädigung, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung dorthin erheblich beeinträchtigen.“ Maßgeblich für einen entschädigungslosen Rücktritt eines Reisenden sei, ob zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei einer sog. ex-ante Beurteilung aufgrund einer Prognose anzunehmen sei, dass besagte Umstände bis zum Reiseantritt auftreten.
„Der Reisende trägt grundsätzlich das Prognoserisiko, insbesondere falls er den Rücktritt vorschnell erklärt und in diesem Moment (noch) keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise oder Anreise zu erwarten ist“, erläuterte die Kammer. Im vorliegenden Fall habe für einen Durchschnittsreisenden in der Lage des Klägers zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung jedoch die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestanden, dass aufgrund der extremen Regenfälle und massiven Überschwemmungen die Reise nach Norditalien mit Gefahren und Einschränkungen verbunden sein würde. Zu nennen seien die Beschädigung von Straßen, Gebäuden und der Infrastruktur oder die Verbreitung von Bakterien und Krankheiten. Der Einwand des beklagten Reiseveranstalters, die Reise sei später wie geplant mit den übrigen Teilnehmern der Reisegruppe beanstandungsfrei durchgeführt worden, sei nicht entscheidend.
Das Berufungsurteil der Reiserechtskammer vom 16. April 2025 (Az.: 2-24 S 75/24) ist rechtskräftig.
Bike-Tour mit Folgen
Der spätere Kläger buchte für sich und seine Lebensgefährtin im Juni 2021 eine „Bike- und Sportmixwoche“ in Flachau (Österreich) zu einem Gesamtpreis von rund 1.400 €. Die Reise umfasste auch ein Sport- und Wellnessangebot.
Am fünften Tag nahm das Paar mit E-Bikes an einer geführten sog. „Heavy-Cycling-Tour“ teil. Die Tour war auf vier Stunden ausgelegt. Die Gruppe von zehn bis zwölf Personen fuhr zunächst auf guten, teils asphaltierten und mit Split versehenen Wegen bis auf über 1.800 Meter. Danach erreichten die Biker ein Steilstück, das noch zum Teil mit Schnee bedeckt war. Die Wege waren aufgrund der Schneeschmelze aufgeweicht und nicht gut befahrbar. Die beiden Guides entschieden, eine andere Strecke zu nehmen und führten die Radfahrer zu einem Wanderweg. Dort befanden sich links der Berg und rechts der Abhang. Der Weg war teilweise nicht befahrbar und die Räder mussten geschoben werden. Der Kläger stürzte und zog sich einen Bänderriss am Sprunggelenk zu. Da er nicht mehr weiterfahren konnte, wurde die Bergwacht alarmiert und er wurde mit einem Helikopter ins Tal geflogen. Dafür entstanden Kosten von rund 4.700 €. Für eine Krankenhausbehandlung musste der Kläger außerdem rund 220 € aufwenden. Die verbleibenden Urlaubstage verbrachte er überwiegend in seinem Hotelzimmer und konnte das Sport- und Freizeitangebot nicht mehr nutzen.
Die Reiserechtskammer des Landgerichts gab seiner Klage gegen das Hotel als Reiseveranstalter statt. Die Bergungs- und Heilbehandlungskosten seien nach Reiserecht zu ersetzen. Ein Reisemangel habe vorgelegen, denn die von dem Hotel engagierten Tour-Guides hätten ihre Obhuts- und Fürsorgepflicht verletzt. „Die Bike-Guides haben im gefahrträchtigen, alpinen Gelände einen Weg gewählt, dessen Beschaffenheit und Schwierigkeitsgrad sie nicht kannten und der höhere Anforderungen an die Teilnehmer gestellt hat, als dies bei der eigentlich gebuchten Bike-Tour der Falls gewesen wäre“, führte der Vorsitzende der Kammer in dem Urteil aus.
Der Sturz sei auch nicht einem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen. „Zwar ist eine Grenze der Einstandspflicht des Reiseveranstalters dort zu ziehen, wo sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Vorliegend hat sich die Verletzungsgefahr der Teilnehmer durch das Verhalten der Guides aber gerade erhöht“, so die Kammer.
Ein Mitverschulden des Klägers verneinte das Gericht: „Bei einem Sturz auf einem schmalen Wandersteig, der durch Steine und Wurzeln verblockt ist und auf dem ein schweres E-Bike geschoben werden muss, kann nicht unterstellt werden, dass ein Unfall auf Unachtsamkeit des Geschädigten beruht.“ Auch dem Einwand des beklagten Hotels, der Kläger sei wegen seiner körperlichen Konstitution zu Fall gekommen, folgte das Gericht nicht. Eine mangelnde Fitness sei nicht nachgewiesen worden.
Die Reiserechtskammer sprach dem Kläger außerdem eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit für die verbleibenden Tage zu und zwar in Höhe von 80% des darauf entfallenden Reisepreises, das waren rund 240 €. Darüber hinaus verurteilte die Kammer den Reiseveranstalter zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 900 €, denn der Kläger war nach dem Vorfall zwei Wochen arbeitsunfähig und litt unter Schmerzen.
Das Urteil vom 26. Juni 2025 (Az.: 2-24 O 55/22) ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden.
Kurz vor knapp am Gate
Eine Gruppe von fünf Personen hatte einen Flug von Frankfurt nach Doha gebucht. Am Check-In-Schalter fanden sie sich rechtzeitig, jedenfalls mehr als 45 Minuten vor Abflug, ein. Auf den Boarding-Pässen war angegeben, das Gate schließe 20 Minuten vor Abflug. Planmäßige Abflugzeit war 17:35 Uhr. Das Gate wurde um 17:15 Uhr geschlossen. Als die fünf Reisenden kurz danach dort ankamen, verweigerte ein Mitarbeiter der Fluggesellschaft ihnen ein Einsteigen. Zu diesem Zeitpunkt stand das Flugzeug noch am Flugsteig und es befanden sich noch andere Passagiere hinter der Boarding-Pass-Kontrolle vor dem Einstieg in die Maschine. Mit ihrer Klage verlangten die fünf Reisenden von dem Luftfahrtunternehmen eine Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung in Höhe von jeweils 600 €.
Während das Amtsgericht ihre Klagen noch mit der Begründung abgewiesen hatte, eine nochmalige Öffnung des Boarding hätte die operativen Abläufe der beklagen Fluggesellschaft beeinträchtigt, gab die Reiserechtskammer ihrer Berufung statt.
Die Reiserechtskammer führte in ihrem Berufungsurteil aus: „Ein Fluggast muss nicht nur rechtzeitig am Abfertigungsschalter, sondern auch am Flugsteig sein. Zwar ist in der Fluggastrechte-Verordnung keine bestimmte Zeit angegeben, doch ist von einem Fluggast grundsätzlich zu erwarten, dass er sich zu der auf der Boardkarte angegebene Zeit in unmittelbarer Nähe des Flugsteiges aufhält (…)“. Verzögere sich der Abflug, sei jedoch auf zu spät zum Boarding erscheinende Fluggäste Rücksicht zu nehmen. Die Richterinnen und Richter erklärten: „Ist das Boarding noch nicht abgeschlossen und sind die Türen des Flugzeuges noch geöffnet, besteht eine Mitnahmeverpflichtung der Fluggesellschaft. Gleiches gilt, wenn der Vorfeldbus, der die Fluggäste zum Flugzeug bringen soll, noch nicht abgefahren ist.“ In diesem Fall komme es auch nicht zu Verzögerungen im organisatorischen Ablauf, denn die Start- und Streckenfreigabe werde erst nach Schließen der Flugzeugtüren von dem Piloten beantragt. Da die Türen im vorliegenden Fall noch geöffnet und auch noch nicht alle anderen Passagiere eingestiegen waren, sei es für die beklagte Fluggesellschaft nicht unzumutbar gewesen, die fünf Reisenden durchzulassen. „Die Kläger hätten sich in der Reihe der noch vor dem Flugzeug anstehenden Passagiere anstellen können, ohne dass dadurch eine Verzögerung des Abflugs zu befürchten war“, befand die Kammer.
Das Urteil vom 5. Juni 2025 (Az.: 2-24 S 93/24) ist rechtkräftig.
Kommentarlose Rückgabe der Koffer
Die Mutter der späteren Klägerinnen buchte für die Familie eine 14-tägige Pauschalreise nach Fuerteventura zu einem Preis von rund 4.700 €. Am Abreisetag, dem 27. Mai 2022, fiel der Hinflug aus. Nach mehreren Verschiebungen wurde den Reisenden eine neue Abflugzeit am Abend des 28. Mai 2022 mitgeteilt. Die Familie fand sich rechtzeitig ein und wurde mit dem Bus zum Flugzeug gefahren. Ein Boarding wurde ihnen jedoch nicht ermöglicht. Stattdessen wurde ihr Gepäck ohne Begründung wieder ausgeladen. Gegen 20 Uhr erhielten sie die Mitteilung, dass der Flug auch an diesem Tag nicht durchgeführt werde und die Reisenden ihre Koffer abholen könnten. Tatsächlich wurde der Hinflug schlussendlich am 29. Mai 2022 durchgeführt. Die Familie flog nicht mit.
Mit ihrer Klage verlangten die Klägerinnen für sich und ihre Eltern Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Das Amtsgericht sprach ihnen Schadensersatz für den 27. und 28. Mai 2022 in Höhe von 100 Prozent des darauf entfallenden Reisepreises zu. In Bezug auf die Tage ab dem 29. Mai 2022 wies es die Klage jedoch mit der Begründung ab, für einen Entschädigungsanspruch fehle es an dem hierfür erforderlichen Abhilfeverlangen.
Die dagegen erhobene Berufung der Klägerinnen hatte vor der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main Erfolg. Die Kammer sprach den Reisenden auch für die Reisetage ab dem 19. Mai 2022 eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 50 Prozent des anteiligen Reisepreises zu. Die unterbliebene Ersatzbeförderung am zweiten Tag stelle eine Vereitelung der Reise und damit einen Reisemangel dar. Der beklagte Reiseveranstalter habe zwar behauptet, über den am 29. Mai 2022 tatsächlich erfolgten Hinflug per SMS unterrichtet zu haben. Das habe er im Prozess jedoch nicht nachweisen können.
Die Kammer stellte weiter fest, die Familie habe den beklagten Reiseveranstalter nicht zur Abhilfe auffordern müssen. „Für einen objektiven Empfänger gab die Beklagte unmissverständlich zu erkennen, zur Abhilfe nicht bereit zu sein, indem die klagende Familie nach dem zweiten missglückten Beförderungsversuch ohne weitere Begründung aufgefordert wurde, ihre Koffer am Gepäckbeförderungsband abzuholen. Die Beklagte gab hiermit eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung zu verstehen.“
Das Urteil vom 22. Mai 2025 (Az.: 2-24 S 2/24) ist rechtskräftig.
Die zitierten Entscheidungen werden in Kürze unter www.lareda.hessenrecht.hessen.deÖffnet sich in einem neuen Fenster abrufbar sein.