Neuere Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt am Main zum Reiserecht
Vor der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main werden in erster Instanz reise-rechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert über 5.000 € verhandelt. Außerdem ist die Reiserechtskammer zuständig für Berufungen gegen Urteile in Reisesachen der Amtsgerichte Frankfurt, Frankfurt Höchst, Königstein i. Ts. und Bad Homburg v. d. H.
Die folgenden Entscheidungen der Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main sind im vergangenen Jahr unter anderem ergangen:
Keine Entschädigung für Reiseveranstalter nach Stornierung wegen Corona
In einem Berufungsverfahren (Az.: 2-24 S 243/21) hatte der Kläger für seine Ehefrau und sich sowie ein weiteres Ehepaar eine Reise nach Mallorca für die Woche vom 22.3.2020 bis 29.3.2020 gebucht. Der Gesamtpreis betrug 2.776 Euro. Die Reisebedingungen sahen vor, dass bei einem Rücktritt des Reisenden zwischen dem 30. und 14. Tag vor Reisebeginn eine Entschädigungs-pauschale von 55 % des Reisepreises zu zahlen sei.
Am 4.3.2020 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Reisevertrag wegen der sich seinerzeit ab-zeichnenden Beschränkungen in Folge der Corona-Pandemie. Die Reise wurde aufgrund der zunehmenden Reisebeschränkungen ohnehin später abgesagt und fand nicht mehr statt. Der beklagte Reiseveranstalter erstattete den Reisepreis nur teilweise und behielt eine Entschädigungspauschale zurück. Mit seiner Klage verlangte der Kläger den vollen Reisepreis.
Die Reiserechtskammer bejahte in ihrem Urteil vom 7.7.2022 einen Anspruch des Klägers auf vollständige Rückerstattung. Der Reiseveranstalter könne keine Entschädigung zurückhalten. Grundsätzlich sei das zwar möglich, wenn eine Reise von einem Kunden storniert werde. In die-sem Fall könne der Reiseveranstalter nach dem Gesetz nur dann eine Entschädigung verlangen, wenn keine sog. „außergewöhnlichen Umstände“ am Zielort vorlegen hätten. Die Corona-Pandemie sei grundsätzlich ein solcher Umstand. Ob für die Beurteilung der Corona-Lage im konkreten Fall auf den Zeitpunkt des Rücktritts des Kunden oder darauf abzustellen sei, wie die Lage bei planmäßiger Durchführung der Reise gewesen wäre, ließ die Reiserechtskammer in diesem Fall noch ausdrücklich offen. Da die Reise nämlich später ohnehin abgesagt wurde, könne der Reiseveranstalter keinesfalls eine Entschädigung beanspruchen. Andernfalls werde der Reiseveranstalter bei Reisen, die wegen der Pandemie oder aus anderen außergewöhnlichen Umständen sowieso nicht stattfänden, bessergestellt, wenn der Kunde zuvor von sich aus die Reise aus demselben Grund storniert habe.
Das Urteil ist rechtskräftig. Die Reiserechtskammer erwägt allerdings, Rechtsstreitigkeiten wie diese in Zukunft einstweilen auszusetzen. Denn der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob es für die Corona-Lage auf den Zeitpunkt der Stornierung durch den Kunden oder auf den Zeitraum der Reise ankommt, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2.8.2022, Az.: X ZR 53/21).
Club ohne Strandzugang, Pool, Wellness, Tennis oder Bistro in der Pandemie
Der Kläger buchte für seine Ehefrau und sich Anfang März 2020 eine Reise in einen Club der Beklagten nach Fuerteventura inklusive Flug ab Stuttgart für die Zeit vom 14.3.2020 bis 28.3.2020 zu einem Preis von insgesamt 3.600 Euro. Das Ehepaar trat die Reise an. Wegen der Corona-Pandemie wurden behördliche Anordnungen erlassen, aufgrund derer ab dem zweiten Reisetag der Strandzugang geschlossen wurde, tags darauf der Wellnessbereich, danach die Poolanlage und schließlich auch die Tennisplätze und das clubeigene Bistro.
Das Hotelmanagement ging außerdem ab dem 16.3.2020 dazu über, die Anlage zu renovieren. Durch den Einsatz von Schlagbohrern und Brennern sowie den Auf- und Abbau von Gerüsten kam es zwischen 8 und 17 Uhr zu erheblichem Baulärm. Vor dem Bungalow des Klägers und seiner Frau wurde zudem ein Materialumschlagplatz angelegt, von dem ebenfalls großer Lärm ausging.
Der Kläger rügte gegenüber der Reiseleitung vor Ort den Baulärm, das Fehlen des Meerzugangs und die Sperrung des Wellnessbereichs.
Am 20.3.2020 teilte die Beklagte dann mit, dass die Reise ab dem 21.3.2020 abgebrochen werde. Der Kläger und seine Ehefrau wurden auf einem Flug nach Frankfurt anstelle nach Stuttgart zu-rück nach Deutschland gebracht und zwar in der Economy-Class und nicht in der ursprünglich gebuchten Premium Economy-Class.
Der Kläger hat aufgrund von Reisemängeln eine Minderung des Reisepreises verlangt und zwar umgerechnet auf die betroffenen Tage je 20 % des Tagespreises für den gesperrten Meerzugang und die Schließung des Wellnessbereichs, für die Poolsperre und die geschlossenen Tennis-plätze je 10 %, für den Lärm und die geschlossene Snackbar je 5 %, weiter 10 % für die Herabstufung in die Economy-Class sowie 5 % für die Beförderung nach Frankfurt statt nach Stuttgart. Ab dem 21.3.2020 hat er den Reisepreis für die nicht erfolgten Reisetage vollständig zurückverlangt. Die Beklagte bot ihm Gutscheine an. Der Kläger lehnte ab.
In einem Berufungsurteil vom 14.4.2022 (Az.: 2-24 S 119/21) hat die Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main die Klageforderung überwiegend bejaht: Die Schließungen und Einschränkungen im Club der Beklagten stellten Reisemängel dar und berechtigten zur Minderung in geltend gemachter Höhe. Die Einschränkungen aufgrund der Pandemie seien nicht dem sog. allgemeinen Lebensrisiko des Reisenden zuzuordnen, sondern sie beträfen das unmittelbare Leistungssoll des Reiseveranstalters. Wenn der Veranstalter bestimmte Nutzungsmöglichkeiten verspreche, trage auch er die Gefahr des Gelingens der Pauschalreise – nicht aber der Reisende. Für die verlorenen Urlaubstage nach Abbruch der Reise schulde die Beklagte außer-dem vollen Ersatz.
Mangels Abhilfemöglichkeiten sei es auch unerheblich, ob der Kläger neben dem Baulärm auch alle coronabedingten Einschränkungen vor Ort gerügt habe. Denn der Veranstalter hätte ohnehin nicht abhelfen können. Anders sei es in Bezug auf das „Downgrade“ auf dem Rückflug in die Economy-Class: Hier habe der Kläger nicht dargetan, dass die Beklagte ein Umsetzen oder eine Umbuchung tatsächlich abgelehnt habe, so dass dafür keine Minderung verlangt werden könne.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Boarding und Deboarding von Personen mit eingeschränkter Mobilität
In einem weiteren am 23.6.2022 in einem Berufungsverfahren (Az.: 2-24 S 173/21) entschiedenen Fall hatten die klagenden Eheleute bei einem Vermittler im Internet einen Flug von Frankfurt nach St. Petersburg mit Zwischenstopp in Budapest gebucht. Die Umsteigezeit in Budapest betrug planmäßig 45 Minuten. Der Kläger ist auf einen Rollstuhl angewiesen. In Budapest durfte er erst nach allen anderen Passagieren aussteigen. Die Eheleute verpassten ihren Anschlussflug und mussten für 227,27 Euro pro Person ein Ticket für einen Weiterflug nach St. Petersburg erwerben. Sie verlangten von der Fluggesellschaft unter anderem Ersatz dieser Kosten.
Die Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main entschied, dass den Klägern eine Erstattung der Kosten für die Anschlusstickets von Budapest nach St. Peterburg zustehe. Zwar sei kein Rollstuhlbegleitservice gebucht worden. Ungeachtet dessen wäre die beklagte Fluggesellschaft aber verpflichtet gewesen, den Kläger zu unterstützen. Denn nach der Flugastrechteverordnung muss ein Luftfahrtunternehmen einer Person mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen – wie beispielsweise auch Kindern – Vorrang bei der Beförderung einräumen. Das betreffe, so die Richter, nicht nur das Boarding, sondern auch den Ausstieg, also das Deboarding: Wenn der betreffende Fluggast ein besonderes Interesse daran habe, müsse das Luft-fahrtunternehmen ihn privilegiert aussteigen lassen. Im konkreten Fall habe die beklagte Fluggesellschaft jedenfalls beim Einstieg des Klägers erkannt, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Außerdem habe die im Prozess als Zeugin vernommene Flugbegleiterin bestätigt, dass der Kläger vergeblich um einen vorrangigen Ausstieg in Budapest gebeten habe.
Die klagenden Eheleute träfe auch kein Mitverschulden, weil sie ihre Umsteigezeit zu knapp bemessen hätten. Auch wenn sie langsamer seien als andere Passagiere, hätten sie nicht vorher-sehen müssen, dass eine Umsteigezeit von 45 Minuten für sie zu kurz sei.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Hitze an Board
Die Kläger, eine dreiköpfige Familie mit zweijähriger Tochter, buchten bei der beklagten Fluggesellschaft für August 2018 einen Flug von Brindisi nach Frankfurt am Main. Die geplante Abflug-zeit war 10:55 Uhr. Aufgrund einer Verspätung betraten die Kläger um 14:11 Uhr das Flugzeug. Die Klimaanlage war nicht angeschaltet. Es war heiß an Board. Die Tochter der klagenden Familie erhielt Wasser, die Eltern nicht. Der Pilot teilte um 14:56 Uhr mit, man werde eine Viertelstunde später starten. Die Crew weigerte sich, die Türen zu öffnen. Nachdem einige Passagiere die Polizei informiert hatten, kehrte das Flugzeug zum Terminal zurück. Den zwischenzeitlich ausgestiegenen Passagieren wurde mitgeteilt, dass die Klimaanlage nicht funktioniere. Es wurde ihnen freigestellt, gleichwohl mitzufliegen. Der Abflug wurde für 16:30 Uhr angekündigt. Die Kläger entschieden sich dafür und bestiegen erneut das Flugzeug. Darin war es wieder sehr heiß. Um 17:20 Uhr startete die Maschine und landete um 19:22 Uhr, mehr als sechs Stunden später als vereinbart.
Die beklagte Fluggesellschaft erkannte für jedes Familienmitglied 250 Euro Entschädigung nach der sog. Fluggastrechteverordnung an. Die Kläger haben darüber hinaus ein Schmerzensgeld von 650 Euro pro Person verlangt. Im Flugzeug habe eine Temperatur von über 50 Grad bestanden und die Atemluft sei schlecht gewesen.
In einem Berufungsurteil vom 5.5.2022 (Az.: 2-24 S 16/20) hat die Reiserechtskammer des Landgerichts Frankfurt am Main ein Recht der Kläger auf ein weiteres Schmerzensgeld verneint. Dass die Kläger durch die Hitze im Flugzeug erheblich beeinträchtigt waren, hat die Kammer nicht in Frage gestellt. Ein Schmerzensgeld setze aber eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit voraus. Eine Gefährdung reiche nach dem Gesetz dafür nicht. Die Kläger hätten im konkreten Fall nicht beweisen können, dass sie Kreislaufprobleme und Kopfschmerzen im Ausmaß einer Gesundheitsverletzung gehabt hätten. Ein Schmerzensgeld wegen eines Freiheitsentzuges scheitere schon daran, dass die Kläger erklärt hätten, gar nicht aussteigen, sondern losfliegen zu wollen und deswegen nach der Rückkehr zum Terminal erneut das Flugzeug bestiegen hätten.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.