Die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Zivilverfahren stieg im Pandemiejahr 2021 gegenüber dem Vorjahr von 10,3 Monaten auf 11,9 Monaten an; auch hier deuten die hochgerechneten Zahlen aus dem ersten Halbjahr 2022 wieder auf eine Trendwende mit einer gegenwärtigen Verfahrensdauer von 11,7 Monaten hin.
Im Familienbereich konnte der Bestand an Verfahren im zweiten Pandemiejahr 2021 weiter abgebaut werden. Eine leicht geringere Zahl an Eingängen (2021: 1.765; 2020: 1.814), bei gleichzeitig höheren Erledigungen (2021: 1.872; 2020: 1.841) führte zu einer deutlichen Reduzierung des Bestands von 1.120 auf 1.014 Verfahren. Im ersten Quartal 2022 lag der Bestand erstmals seit 2010 mit 981 Verfahren unter dem Wert von 1000. Zugleich konnte die durchschnittliche Verfahrensdauer kontinuierlich abgesenkt werden (2020: 6,8 Monate; 2021: 6,7 Monate; hochgerechnet 2022: 6 Monate).
Bei den strafrechtlichen Revisionen verringerte sich 2021 die durchschnittliche Verfahrensdauer ebenfalls (2020: 2,2 Monate; 2021: 1,9 Monate 2021). Die Eingänge sind leicht rückläufig (2021: 291; 2020: 307). Die Zahl der Bußgeldverfahren steigt dagegen kontinuierlich seit 2020 an und wird hochgerechnet für 2022 auf einem neuen Rekordhoch liegen (2020: 1.467; 2021: 1.508; 2022 hochgerechnet: 1.872). Dennoch sank die durchschnittliche Verfahrensdauer von 1,6 Monaten 2020 im Jahr 2021 auf 1,5 Monate.
Inzwischen gehen täglich Berufungsverfahren im Zusammenhang mit dem sog. Wirecard-Skandal ein. Die dortigen Kläger nehmen die BAFin wegen unzulänglicher Aufsichtstätigkeit in Anspruch. Im ersten Halbjahr 2022 waren es bereits ca. 85 Verfahren, so dass mit einem Jahreseingang 2022 von 170 Verfahren gerechnet wird (Stand 31.12.2021: 1 Verfahren).
Die rechtliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie beschäftigt das OLG auch weiterhin. Erstmals erreichen das OLG seit 2022 eine Reihe von Verfahren, in denen die Kläger auf Amtshaftung gestütztes Schmerzensgeld in Höhe von 2.000-3.000 € vom Land Hessen oder der Gemeinde wegen der durch eine Quarantäne bzw. Absonderungsanordnung erlittenen Belastungen verlangen. Die dortigen Kläger halten die infektionsschutzrechtlichen Verordnungsgrundlagen für rechtswidrig. Der Eingang von Amtshaftungsklagen von Betriebsinhabern, die Entschädigung wegen des Erbringens eines Sonderopfers verlangen, sind dagegen weitgehend abgeklungen. Dies gilt auch für die Berufungsverfahren wegen pandemiebedingter Mietzinsklagen; auch sie sind nach ihrem Höhepunkt 2021 (30 Verfahren) nunmehr stark rückläufig (2022: hochgerechnet 4 Verfahren).
Die Eingänge im Bereich der sog. Dieselverfahren bewegen sich noch immer auf einem relativ hohen Niveau, aber mit deutlich abnehmender Tendenz. Ihr Anteil an den Gesamteingängen im Zivilbereich betrug 2021 33% und könnte tendenziell 2022 auf 30% sinken. Insgesamt gingen 2021 2.237 Verfahren allein in diesem Bereich ein; die Tendenz für 2022 lässt auf einen Wert um 1830 schließen.
Die sich bereits 2021 abzeichnende Verschiebung bei den Neueingängen hinsichtlich der jeweils betroffenen Automarken hat sich dabei fortgesetzt. Für das Haupthaus des OLG in Frankfurt am Main stellt sich die Aufteilung in den vergangenen drei Jahren wie folgt dar:
2022 kam es erstmals zu einem signifikanten Eingang von Rechtsmitteln gegen Hersteller von Wohnmobilen im Zusammenhang mit dem sog. Dieselkomplex. Bis zum 30.06.2022 gingen bereits 80 Verfahren ein (hochgerechnet 2022: 160 Verfahren).
Die Belastung der Staatsschutzsenate ist weiterhin hoch. Die Taten sind dabei den Phänomenenbereichen Links- und Rechtsterrorismus, islamischer Terrorismus und Staatsterrorismus in Syrien zuzuordnen. Im zweiten Halbjahr 2021 ergingen zwei Urteile (Bereich islamistischer Terrorismus): Mit Urteil vom 29.10.2021 wurde Kim Teresa A. u.a. wegen der der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland („IS“) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Am 30.11.2021 verurteilte der 5. Strafsenat Taha Al J. u.a. wegen Völkermordes in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Dieses auf dem Weltrechtsprinzip fußende Urteil ist von international historischer Bedeutung. Es ist das erste Urteil, in dem eine Verurteilung wegen Völkermordes nach dem im Jahr 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuch und weltweit das erste, in dem eine Verurteilung wegen des Völkermordes ausgesprochen wird, den Mitglieder der terroristischen Vereinigung “IS“ ab August 2014 im Irak an der religiösen Gruppe der Jesiden verübt haben. Es findet weltweit große Beachtung und wurde etwa im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als wegweisende historische Entscheidung bezeichnet. Mit Urteil vom 15.07.2022 wurde der Angeklagte Franco A. u.a. wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und anderer Delikte (Bereich des Rechtsextremismus) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Derzeit dauert die Hauptverhandlung gegen Alaa M. wegen des Vorwurfs, in 18 Fällen Folterungen an Zivilisten vorgenommen zu haben, die er mit Regimekritikern in Verbindung gebracht haben soll, an (Phänomenenbereich: Islamistischer Terrorismus). Auch dieses Verfahren findet international große Beachtung, da sich die Beweisaufnahme mit den Zuständen in syrischen Gefängnissen und Militärkrankenhäusern und dem Umgang des Regimes damit seitens des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad befasst. Seit dem 15.6.2022 wird zudem das ebenfalls dem Bereich des islamistischen Terrorismus zuzuordnende Verfahren gegen Amin M. verhandelt. Ihm wird vorgeworfen, als Kämpfer auf Seiten der Freien Syrischen Armee den Leichnam eines syrischen Soldaten geschändet und sich später dem „IS“ zugewandt zu haben. Der 5a. Strafsenat verhandelt seit Mitte April das Verfahren gegen Abdullah Ö. Dem Angeklagten wird mitgliedschaftliche Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) vorgeworfen (Phänomenbereich Linksterrorismus).
Am 02.08.2022 wird die Hauptverhandlung gegen Marvin E. beginnen. Ihm wird vorgeworfen, als Anhänger der Ideologie der „Atomwaffen Devision“ versucht zu haben, eine terroristische Vereinigung zu gründen und eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten (Bereich Rechtsterrorismus). Eingegangen ist zudem eine Anklage des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 29.04.2022 gegen Laura A. Sie wird u.a. angeschuldigt, Mitglied der terroristischen Vereinigung „IS“ gewesen zu sein und ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt zu haben. Das Verfahren befindet sich derzeit im sog. Zwischenverfahren, in welchem über die Eröffnung der Hauptverhandlung zu entscheiden ist.
Die Zahl der Verhandlungstage stagniert auf einem außerordentlich hohen Niveau: Bis zum 15.7.2022 hatte der 5. Strafsenat bereits 55 und der 5a. Strafsenat neun Hauptverhandlungstermine durchgeführt.
„Die Bilanz des OLG zeigt, dass das Gericht weiterhin hochbelastet ist. Dies betrifft insbesondere die Zivilsenate und die Staatsschutzsenate. Die seitens des Ministeriums angekündigte personelle Verstärkung würde helfen, die uns gestellten Aufgaben im Sinne der betroffenen Bürger effizienter zu erledigen“, stellte Ruth Römer abschließend heraus.