Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Jahrespressekonferenz 2023 - Rückblick und Ausblick

Konstant hohe Erledigungszahlen - Neue Welle Massenverfahren im Bereich der Datenschutzgrundverordnung - Höchstzahl an Staatsschutzsitzungen - Start der elektronischen Akte - Umzugspläne 2024.

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„Konstant hohe Erledigungszahlen bei im Wesentlichen gleichbleibenden Verfahrenslaufzeiten sowie ein Höchststand an Staatsschutzsitzungen zeichnen ein eindrucksvolles Bild des vergangenen und des laufenden Geschäftsjahrs. Sie belegen die große Motivation und Einsatzbereitschaft der am OLG tätigen Richterinnen und Richter bei einer seit Jahren anhaltenden hohen Belastung“, leitete der Präsident des Oberlandessgerichts Frankfurt am Main Dr. Alexander Seitz die heutige Jahresbilanzpressekonferenz ein. Er begrüßte auf seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt Mitte Juli 2023 zudem herzlich Vizepräsidentin Dr. Römer, der Ende 2022 ihr Amt übertragen worden war.   

Präsident Dr. Seitz betonte, dass sich die personellen Rahmenbedingungen im richterlichen Bereich verbessert haben. Die mit dem Haushalt 2022 im gesamten Geschäftsbereich der Ordentlichen Gerichtsbarkeit Hessens geschaffenen 26 neuen Richterstellen sind zum Jahresende 2022 nahezu vollständig mit Richterinnen und Richtern besetzt worden (96,08%). Dies gilt für die mit dem Haushalt 2023 zusätzlich neu eingerichteten Richterstellen zum Stichtag 31.8.2023 bereits zu 93,19 %. Auf das OLG entfielen davon im Jahr 2022 zwei und 2023 drei neue Stellen (insgesamt vier Beisitzer-Stellen (R2) und eine Vorsitzenden-Stelle (R3)). Das OLG verfügt damit zum Stichtag 30.6.2023 über 154,5 reguläre Planstellen, von denen Mitte des Jahre 2023 152,45 besetzt waren.

Mit 5.684 erledigten Zivilberufungen im Jahr 2022 hat das OLG die sehr hohe Erledigungszahl aus dem Jahr 2021 (5.616 Verfahren) noch einmal leicht gesteigert; der Trend hält an (hochgerechnet 2023: 5.418 Verfahren). Die Zahl der Eingänge in den 29 Zivilsenaten ist dabei im Jahr 2022 mit 6.274 Verfahren geringfügig gegenüber dem Jahr 2021 gesunken (6.690 Verfahren; hochgerechnet 2023: 5.472 Verfahren). Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt weiterhin ca. ein Jahr (2021: 11,9 Monate; 2022: 12 Monate; Hochrechnung 2023: 11,7 Monate).

Der Eingang strafrechtlicher Revisionen lag 2022 mit 269 Verfahren leicht unter dem Wert von 2021 (2021: 291 Verfahren; Tendenz für 2023: 276 Verfahren). Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist auch in diesem Bereich konstant geblieben (2022 und 2021 jeweils 1,9 Monate). Bei den Bußgeldsachen stieg die hohe Erledigungszahl aus dem Jahr 2021 (1.481) im Jahr 2022 mit 1.487 Erledigungen noch leicht. Die Eingänge halten sich dabei auch 2022 auf einem weiterhin sehr hohen Niveau mit 1.499 Verfahren (2021: 1.508 Verfahren). Auch hier liegen stabile Werte für die durchschnittliche Verfahrensdauer vor (2022: 1,6 Monaten; 2021: 1,5 Monate).

Vizepräsidentin Dr. Römer verwies darauf, dass im Familienbereich die durchschnittliche Verfahrensdauer im Jahr 2022 von 6,7 Monaten im Jahr 2021 auf nur noch 6,1 Monate und damit signifikant gesenkt werden konnte. Die Eingangszahlen sind dabei leicht rückläufig (2022: 1.590 Verfahren; 2021: 1.765 Verfahren). Diese Tendenz spiegelt sich auch in den Zahlen der familiengerichtlichen Beschwerdeverfahren wieder (2022: 1.412 Verfahren; 2021: 1.476 Verfahren). Der inhaltliche Schwerpunkt liegt gegenwärtig im Bereich der Kindschaftssachen (Sorgerechtsentzüge, Fremdunterbringung von Kindern und Umgangsausschlüsse).

Im Bereich der das OLG belastenden Massenverfahren sind die Berufungseingänge im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal im Jahr 2022 mit 1.727 Verfahren auf ungefähr die Hälfte gegenüber dem Höchststand von 3.496 Verfahren im Jahr 2019 gesunken (2021: 2.237 Verfahren). Die hochgerechneten Zahlen für das Jahr 2023 mit rund 840 Verfahren bis zum Jahresende 2023 lassen auf einen nachhaltigen Rückgang hoffen. Der Anteil der Dieselverfahren an den Gesamteingängen im Zivilbereich des OLG lag 2022 mit 28 % erstmals seit 2019 wieder unter 30 % (2021: 33%). Die sich seit einigen Jahren abzeichnende Verschiebung bei den Neueingängen hinsichtlich der jeweils betroffenen Automarken setzte sich dabei auch 2022 und im laufenden Jahr ausweislich der für das Haupthaus erhobenen Zahlen fort: 2021 richteten sich noch ca. 66% aller Rechtsmittel in diesem Bereich gegen den Hersteller VW; 2022 war dies nur noch bei 43% der Fall (2020: 1.882 Verfahren; 2021: 1.471 Verfahren; 2022: 742 Verfahren; I.-III. Quartal 2023: 240 Verfahren).  Neu hinzugekommen im Jahr 2022 sind mit 250 Berufungen Rechtsmittel gegen Hersteller von Wohnmobilen (Hochrechnung 2023: 254 Verfahren).   

Eine weitere Spitzenstellung bei den Massenverfahren nahmen 2022 allein 452 Berufungen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal ein. Anleger nehmen in diesen Verfahren die BAFin auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung in Anspruch. Die Zahlen der ersten drei Quartale 2023 sprechen für einen leichten Rückgang (hochgerechnet 2023: 304).

Eine Welle neuer Massenverfahren deutet sich im Bereich der Datenschutzgrundverordnung an. Seit dem späten Frühjahr 2023 sind bereits 74 Rechtsmittel wegen sog. „Daten-Scrapings“ gegen Meta Platforms mit ansteigender Tendenz eingegangen. Die Kläger werfen Meta vor, nicht verhindert zu haben, dass Daten von Facebook-Nutzern rechtswidrig abgezogen werden konnten. Die Zahl der Geschädigten weltweit wird auf 500 Mio. Personen geschätzt.

Die seit Jahren hohe Belastung der beiden am OLG eingerichteten Staatsschutzsenate hielt auch 2022 an. Mit 130 Sitzungstagen im Jahr 2022 ist der bereits sehr hohe Wert von 95 Tagen im Jahr 2021 noch einmal übertroffen worden. Da die Senate im laufenden Jahr bereits bis zum 30.9.2023 122 Hauptverhandlungssitzungen durchgeführt haben, ist für 2023 mit einer absoluten Rekordzahl an Sitzungstagen zu rechnen (hochgerechnet 166 Tage). Beide Senate haben in der Zeit vom zweiten Halbjahr 2022 bis zum 30.9.2023 sechs Urteile gesprochen. Die zugrundeliegenden Tatvorwürfe deckten die Bandbreite von Rechtsextremismus, Islamismus („IS“, „Jabhat al-Nusra), Kriegsverbrechen bis zur Mitgliedschaft in der „PKK“ ab. 

Gegenwärtig verhandelt der 8. Strafsenat ein weiteres Verfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung „PKK“. „„PKK“-Verfahren sind in besonderer Weise aufwändig, da vielfach Inhalte aus Telefonüberwachungen den Kern der Beweisverführung bilden. Die Beweisaufnahme mit fremdsprachigen und zu übersetzenden Inhalten stellt sich als kleinteilig und schwergängig dar. Hinzu kommt der Umgang mit einer lebhaften Unterstützerszene“, erläuterte Vizepräsidentin Dr. Römer. Der 5. Strafsenat führt weiterhin das im Januar 2022 begonnene Verfahren gegen Alaa M. mit inzwischen 97 Sitzungstagen fort. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, als Assistenzarzt in Syrien in 18 Fällen Folterungen an Zivilisten vorgenommen zu haben. „Hier sind bereits acht Sachverständige und 22 Zeugen - häufig über mehrere Tage - vernommen und 280 weitere Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Die Hauptverhandlung wird voraussichtlich bis mindestens Ende 2024 andauern“, veranschaulichte Vizepräsidentin Dr. Römer die Komplexität dieses international beobachteten Verfahrens. Der 5. Strafsenat verhandelt zudem gegenwärtig ein Verfahren gegen Nadja R. u.a. wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung „IS“.

Auch das am 15.12.2023 beginnende Verfahren gegen Deniz B. betrifft den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung „IS“. Derzeit sind acht weitere Sitzungstage angesetzt. Schließlich liegt einem weiteren derzeit im Zwischenverfahren anhängigen Verfahren der Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung „IS“ zugrunde. Der Senat wird bis Ende des Jahre 2023 über die Eröffnung der Hauptverhandlung entscheiden.

Die Zahl der von der Bundesanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft angekündigten Verfahren wird voraussichtlich auch 2024 nicht abreißen.

„Neben diesen vielfältigen inhaltlichen Aufgaben steht das OLG auch vor zahlreichen organisatorischen Herausforderungen“, erläuterte Präsident Dr. Seitz die gegenwärtige Situation. „Der Um- und Neubau des Justizzentrums an der Konstablerwache führt dazu, dass fünf Verwaltungsreferate des OLG mit 64 Beschäftigten voraussichtlich bereits im ersten Quartal 2024 in das Interimsgebäude in Niederrad umziehen werden. Eine besondere Herausforderung wird darin bestehen, trotz der räumlichen Trennung die Zusammenarbeit und das Miteinander aufrechtzuerhalten.“ Der logistische Aufwand ist enorm. Schätzungsweise 600 bis 700 Umzugskartons müssen gepackt und 64 Büroausstattungen abgebaut und gelagert werden. 

Seit September arbeiten zudem alle Zivil- und Familiensenate im Haupthaus an der Zeil mit der elektronischen Akte. Dort wurden bereits knapp 160 Arbeitsplätze bei 21 Zivilsenaten und 5 Familiensenaten für die Arbeit der verschiedenen Berufsgruppen umgestellt (Richter, Serviceeinheiten, Rechtspfleger, Bezirksrevisoren, Kostenbeamte). Rund 185 Tablets, 255 Touch-Bildschirme (auch in den Sitzungssälen) und rund 440 Signaturtastaturen sind neu installiert und 22 zweitägige Schulungen absolviert worden.

„Mit der Umstellung ändern sich Arbeitsweise und Arbeitsabläufe in einem bislang nicht gekannten Ausmaß. Die Einarbeitung fordert von allen viel Zeit, Geduld, kreative Lösungen und den Willen, das Programm als Basis der zukünftigen Arbeit gemeinsam zu optimieren.

Eine der größten Zukunftsaufgaben wird die Gewinnung von Personal im nichtrichterlichen Dienst sein. Anders als im richterlichen Bereich ist das OLG selbst für die Ausbildung und Gewinnung des nichtrichterlichen Personals zuständig. Trotz der angespannten Arbeitsmarktsituation ist es infolge intensiver Bemühungen gelungen, im mittleren und gehobenen Dienst 2022 181 (davon 62 Rechtspfleger) neue Anwärter einzustellen und 2023 sogar 185 (davon 78 Rechtspfleger). Zugleich haben 2022 157 (davon 51 Rechtspfleger) ihre Ausbildung erfolgreich absolviert; 2023 werden es voraussichtlich insgesamt 145 (davon 54 Rechtspfleger) sein. Im Tarifbereich wurden 2022 138 und 2023 139 neue Auszubildende eingestellt. Zugleich haben 2022 123 Auszubildende erfolgreich ihre Ausbildung beendet, 2023 sind es 121. Das OLG wird auch in Zukunft alles daransetzen, in ausreichender Anzahl nichtrichterliches Personal auszubilden und neu einzustellen.

Insgesamt bin ich sehr zuversichtlich, dass das OLG die vielfältigen kommenden Herausforderungen weiterhin gut bewältigen wird“, schloss Präsident Dr. Seitz.

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